Die Linsländer

Im Linsland werden die Menschen mit einem Fernglas vor den Augen geboren. Die meisten kommen mit einem verkehrt herum aufgesetzten Fernglas auf den Augen zur Welt. Sie sehen alles ganz klein. Wenn sie einen Menschen treffen, denken sie zum Beispiel: „Ist die aber weit weg“, „ist die aber klein“ oder auch „ist die aber dünn“. Einige wenige Leute kommen zur Welt mit dem Fernglas richtig herum auf den Augen. Sie schauen zum Beispiel an sich herab und denken: „Bin ich aber lang und breit“. Wenn sie mit den anderen Leuten aus Linsland sprechen, werden sie sich untereinander nie einig. Doch einmal machte eine Frau in Linsland eine unglaubliche Entdeckung…

Die Geschichte von den Linsländern ist therapeutisch einsetzbar bei Leuten mit einer Körperschemastörung, also etwa bei magersüchtig oder fettsüchtig lebenden Menschen, die (in der Wahrnehmung ihrer Umwelt) keine realistische Einschätzung ihrer Figur haben. Sie ist auch nützlich bei anderen Menschen, deren Selbstbild sich stark von der ihrer Umgebung unterscheidet, also etwa bei Leuten, die sich selbst immerzu schlecht machen, während die anderen sie überwiegend positiv bewertet, bei hypochondrisch orientierten Personen und bei anderen, die zwanghaft denken, die also ein relativ kleines (oder nicht vorhandenes) Problem in den Augen der Welt zum größten Problem ihres Lebens gemacht haben.

Perspektive im Rückblick

Ein Arzt an meinem Krankenhaus sagte zu mir vor einiger Zeit: „Wenn einige von uns mit zwanzig wüssten, was sie mit vierzig erreicht haben werden…“ seine Schlussfolgerungen waren wenig lebensbejahend. Einige von uns ahnen sehr wohl, dass sie neben Begabung auch Glück und Gesundheit brauchen werden, wenn sie denn ihre Ziele erreichen wollen. Meine Schweizer Kollegin Irmgard Federer sagte: „Nicht mal seinem Feind wünscht man, dass alle seine Wünsche wahr werden“. Auch das ist nachdenkenswert: Sind unsere Ziele geeignet, um unsere Sehnsucht zu erfüllen? Was ist, wenn wir sie erreichen? Und was, wenn wir sie nicht erreichen? War dann unser Leben umsonst?  Am besten gefällt mir, was Sebastian Schwank unter der Überschrift „Perspektive im Rückblick“ dazu geschrieben hat:

Nach kurzem Überlegen sagte er zu mir: „Ich werde zurückblicken können und werde zwar nicht sagen können, dass ich das geschafft habe, was ich mir damals erträumt hatte, aber ich habe geschafft, das zu wollen, was ich jetzt erreicht habe. „Was wolltest du denn“, fragte ich neugierig. „Genau das!“

Haushaltsgegenstände erziehen

Heute hatte ich eine Frau in Therapie, die sagte, sie bekomme so leicht Zornausbrüche, sie sei für ihre Familie praktisch unberechenbar. Sie ist Erzieherin, und ich weiß, dass Sie ihren eigenen Sohn recht anspruchsvoll und konsequent erzieht. Ich bat sie um Beispiele für ihr Problem. „Es kommt vor“, sagte sie, „wenn ich den Mülleimerdeckel nicht beim ersten Mal auf den Eimer bekomme, dann schleudere ich ihn vor Wut in die Ecke. Oder ich stelle einen Besen an die Wand, und er fällt um. Das macht mich wütend. Oder wenn mit dem Staubsauger irgendetwas ist, dann raste ich aus.“ „Warum macht denn der Mülleimer das mit Ihnen, dass er Sie den Deckel nicht draufbekommen lässt?“, fragte ich. „Will der, dass Sie dumm aussehen?“ „Ja, unfähig und zu blöde, um einen Deckel auf den Mülleimer zu bekommen.“ „Dann erreicht er ja bei Ihnen genau sein Ziel, wenn Sie den Deckel in die Ecke schleudern. Da kann sich der Mülleimer ja freuen, dann hat er’s wirklich hingekriegt, Sie unfähig aussehen zu lassen. Es gab mal einen Perserkönig, der ließ das Meer auspeitschen, nachdem er ein paar Schiffe in einem Sturm verloren hatte. Er hat das Meer gezüchtigt, damit es so etwas nicht wieder tut. Das finde ich vernünftig. Nicht wegen dem Meer, sondern weil der König damit aus seiner Hilflosigkeit in eine handelnde Haltung zurückgefunden hat. Ich denke, es wird Zeit, dass Sie Ihren Mülleimer erziehen. Sie können ihm den Deckel zum Beispiel ganz langsam und genüsslich aufsetzen, so dass er sich lange mit seiner eigenen Wehrlosigkeit beschäftigen kann, und merkt, dass er es nicht hinkriegt, Sie am Deckel-draufsetzen zu hindern. Sie können ihn aber auch zur Strafe einmal eine Stunde ganz ohne Deckel sein lassen, bis es ihm peinlich wird, dass er riecht und er Sie regelrecht um den Deckel bittet. Genauso maßregeln Sie den Staubsauger. Es geht nicht an, dass er über Sie bestimmt. Lassen Sie ihn merken, dass es sich für ihn nicht lohnt, Sie von der Arbeit abzuhalten. Sie haben das Sagen. Den Besen können Sie in eine Ecke stellen, damit er sich besinnt, was er getan hat. Wenn Sie meinen, dass er sich genug Gedanken gemacht hat und sich wahrscheinlich besser verhalten wird, dann können Sie ihn in den Arm nehmen und sich mit ihm aussöhnen und ihm sagen, dass Sie es jetzt nochmal miteinander probieren…“

Privatpraxis-Gründungs-Seminar in Bingen

In Bingen halte ich am 20. Mai 2009 mit zwei Kollegen (ein Arzt und ein Steuerberater und Betriebswirt) einen Workshop für Ärzte zu der Frage: „Wie gründe ich eine erfolgreiche Privatpraxis?“ Das eintägige Seminar ist ein Vor-Kongress-Workshop zur Jahrestagung des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Der Workshop ist auch für externe Teilnehmer offen. Bisher haben wir ihn als Intensivseminar im Sinne eines 1:1-Coaching mit drei Teilnehmenden und drei Beratern gehalten. Das schlüssige Konzept haben wir jetzt auf ein größeres Seminar übertragen. Ich gebe euch einmal hier den Ausschreibungstext und die wesentlichen Daten zu dem Workshop weiter…

Sie planen die Gründung einer Privatpraxis und wollen das nötige Know-how in einem Tages-Intensivseminar erwerben? Sie haben bereits eine Privatpraxis und wollen deren Effizienz und Ihre Zufriedenheit steigern? Sie sind Kassenarzt und planen den Umstieg zum Privatarzt?

Viele Kollegen wünschen sich eine höhere Arbeits- und Lebensqualität bei zuverlässig stabilen Honorarbedingungen. Sie möchten Spielräume für ausführliche Untersuchungen und schlüssige Behandlungskonzepte, für Anamnese- und Beratungsgespräche, auch um die Zufriedenheit der Patienten und deren Praxisbindung zu erhöhen. Gleichzeitig gilt es sichere Alternativen zum Auslaufmodell der normalen Kassenpraxis zu entwickeln.
Dieses praxisorientierte Beratungsseminar wurde von Kollegen für Kollegen entwickelt mit dem Ziel, alle wesentlichen wirtschaftlichen, juristischen, fachlichen und persönlichen Faktoren zur Umstrukturierung Ihrer Praxis zu vermitteln. Unter kompetenter Anleitung entwickeln Sie ein anwendbares, individuelles Praxiskonzept mit einzelnen Umsetzungsschritten. Ausgehend von der aktuellen Situationsanalyse über die Nutzung rechtlicher Rahmenbedingungen und Möglichkeiten bis zum Erstellen eines tragfähigen Businessplans sowie einer Konzeption zur Außendarstellung und Vernetzung der Praxis erlernen Sie alle relevanten Aspekte privater Praxisführung.

Kursort: Kongresszentrum Bingen
Kursleitung/Referenten: Dr. med. Eugen Schippers, FA Allgemeinmedizin, Inhaber einer Kassenpraxis und einer Privatpraxis. Patrick Weber, Dipl.-Betriebswirt, Wirtschafts- und Steuerberater. Stefan Hammel, Trainer, Systemischer Berater.
Kursgebühren:  120 € zzgl. MwSt.
Termin: Mittwoch, 20. Mai 2009
Kurszeit: 10.00 – 17.00 Uhr

Anmeldung:
Dipl.-BW (FH) Patrick Weber | Nahestr. 58 | 55593 Rüdesheim
Tel: 06 71 / 92 89 95 10 | Fax: 06 71 / 92 89 95 11
www.steuerberater-nahe.de | info@steuerberater-nahe.de

Seminar „Metaphern & Geschichten“ in Mannheim

In Mannheim halte ich am 14.3.09 und 15.3.09 beim Institute for Clinical Hypnotherapy and Psychotherapy (ICHP Deutschland) zweimal ein eintägiges Seminar: „Metaphern und Geschichten in der Hypnotherapie – Wie man individuell passende Geschichten findet und erfindet und wie man sie therapeutisch wirksam erzählt“. Das Seminar ist Teil eines zweitägigen Seminars, bei dem drei Spezialisten in Themen aus dem Bereich der Hypnotherapie und Systemtherapie einführen. Als weitere Referentin hält Ilse Jaki-Bay ein Seminar über „Zirkuläre Fragen – die etwas andere Art, Lösungen und Trancen herbeizuführen“ und Sven Frank gibt eine „Praktische Fallsupervision für Therapeuten und Berater“. Die Veranstaltung ist überwiegend für Mitglieder der ICHP gedacht, jedoch auch offen für Besucher aus anderen Umfeldern. Für externe Teilnehmer kostet die Teilnahme an beiden Tagen 80 Euro – also entschieden ein Schnäppchen…

Die Abstracts zum Seminar, nähere Infos und eine Anmeldemöglichkeit findet ihr unter dem obigen Link.

Webtipp: Das Reich der Möglichkeiten

Ich könnte mir vorstellen, dass diejenigen, die den Film „Validation“ gemocht haben, auch das Video vom „Reich der Möglichkeiten“ schätzen werden. Das ist nun ein ganz anderer Film. Es handelt sich um eine Demonstration des Bostoner Philharmonie-Dirigenten und Cellisten Benjamin Zander, der seine lebensfreundliche Weltanschauung erklärt und sie demonstriert, indem er einen jungen Cellisten unterrichtet. Eine Hommage nicht nur an die Musik, sondern an das Leben und an die Liebe zu den Menschen und zu sich selbst…

Zu finden ist das Video im Blog des systemagazin, das mein geschätzter systemischer Kollege Tom Levold herausgibt.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Anschauen!

Auferstehung

Am Freitag habe ich eine Frau besucht, von der mir das Stationspersonal sagte: „Sie liegt im Sterben“. Die bekümmerten Angehörigen waren um sie versammelt, von weither waren sie angereist. „Sie hat wohl keine Chance mehr“, sagte einer von ihnen. „Wir müssen uns der Realität stellen.“ Die Frau schaute ins Leere, doch wirkte sie glücklich, dass ihre Lieben bei ihr waren. Ihre Bettnachbarin hatte Fieber und hustete unentwegt. Gestern war ich wieder in dem Zimmer. Die eben noch sterbende Frau war wohlauf und munter. „Ich habe mich gewundert“, sagte sie, „warum die alle da waren.“ Ihre Nachbarin, die nicht mehr hustete, sagte: „Sie hat am Morgen die Augen aufgemacht und hat nur gesagt: ‚Geht’s dir jetzt endlich besser?'“

Die Fremde

Die Geschichte vom „Antidepressivum“, die ich am Wochenende erzählt habe, hat eine Vorgeschichte, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Ich denke nicht, dass ich mit der Frau aus dem Tessin, mit Gott oder dem Schicksal schon quitt wäre. Ich schulde der Menschheit noch einen Gefallen. Aber ich habe versucht, einen Anfang zu machen…

Im vergangenen Sommer machte ich eine Reise rheinaufwärts durch die Schweiz. Ich war allein und war noch nie in der Gegend gewesen. Ich kannte hier keinen Menschen. An einem späten Abend – es war dunkel, regnerisch und sehr neblig – da fuhr ich, vom Norden her kommend, über den Berninapass. Ich hatte Hunger und hoffte, das Gasthaus auf der Passhöhe würde geöffnet sein. Doch dem war nicht so. Nun fuhr ich in unzähligen Kehrwenden auf der anderen Seite die Passstraße hinunter auf der Suche nach einem gastlichen Plätzchen. Tatsächlich fand ich, noch vor der ersten Ortschaft, ein Gasthaus am Straßenrand. Ich trat ein. Das Personal sprach nur italienisch und wir hatten Mühe, uns zu verständigen. Eine Frau um die Fünfzig bot sich als Übersetzerin an. Sie fragte mich, wer ich sei und woher ich komme, und was mich bei Nacht und Nebel hierher führte. „Sie müssen mit mir einen Sekt trinken… Sie müssen diesen Wein hier probieren… die Rechnung bezahle ich…“ Ich verwies auf den Nebel und die ungesicherte Straße. „Sie sind über den Pass gekommen? Das ist zu gefährlich. Es gibt doch einen Tunnel. Ich erkläre Ihnen, wie Sie fahren. Und jetzt trinken Sie mit mir.“ Nach einer Weile des Gesprächs fragte sie: „Möchten Sie nicht etwas essen?“ Und sie bestellte mir ein dreigängiges Menü. „Möchten Sie noch einen Wein dazu?“ „Vielleicht lieber ein Wasser.“ „Un aqua, per favore.“ Die Wirtsleute diskutierten mit ihr, sie schienen sich in irgendeiner Sache uneinig zu sein. Die Frau bestand darauf, auch das Essen und das Wasser für mich zu bezahlen, und zwar noch, bevor es serviert wurde.

„Sehen Sie“, sagte sie dann zu mir. „Ich will nichts von Ihnen. Sie sind ein sympatischer Mensch. Ich mag Sie. Sie kennen meinen Namen nicht und wissen nicht, wo ich wohne. Ich habe Ihnen keine Karte von mir gegeben. Sie wissen nicht, wer ich bin. Ich werde jetzt gehen. Alles was ich von Ihnen möchte, ist, dass Sie im nächsten Jahr einem Menschen das tun, was ich jetzt getan habe.“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und verließ das Lokal. „Ist Architektin vom Meraner See, sehr reich“, sagten die Wirtsleute mit abschätziger Miene. „Ihr irrt euch“, dachte ich bei mir. „Das Geld ist euer Thema und nicht ihres. Diese Frau hat andere Gründe.“

Antidepressivum

In der Klinik erzählte mir gestern eine ältere Frau, dass sie immerzu Schmerzen habe, dass sie mutterseelenallein sei und dass sie sterben wolle. Ihr Mann und ihr späterer Lebensgefährte seien verstorben. Sie habe keine Geschwister, keine Kinder und auch sonst niemanden, der sich für sie interessiere. Sie lebe in einem Altenheim und könne das Bett nicht verlassen. Sie sehe keinen Sinn in ihrem Leben mehr. Sie fragte mich, ob ich etwa noch einen Sinn darin sähe.
„Ihr Leben hat auf diese Art wirklich keinen Sinn mehr“, sagte ich. „Sie können ihm aber möglicherweise einen geben. Da draußen sind noch mehr Menschen, die so einsam und unglücklich sind wie Sie. Diese anderen Menschen haben das ebenso wenig verdient. Sie können sich Papier, Schere, Klebstoff, Blumenprospekte und Stifte geben lassen und können Geburtstagskarten basteln und verschicken für diese Leute, denen es genauso geht, wie Ihnen.“ „Wozu?“ war die Antwort. „Das bringt doch nichts. Mir hat noch nie jemand Blumen geschenkt.“ „Sie mögen Blumen gerne, ja?“ fragte ich, und wir unterhielten uns über Blumen. Wenigstens jetzt leuchteten ihre Augen.
Nach einer Weile verabschiedete ich mich. Ich ging zum Blumenladen und kam wieder mit einem Strauß von orangenroten Rosen in verschiedenen Farbtönen. „Das Kraut hier mit den roten Früchten ist Johanniskraut“, erklärte ich. „Das ist ja eigentlich ein Antidepressivum. Die Verkäuferin hat gemeint, vielleicht wirkt es auch, wenn man es anschaut. Wer kann das wissen?“ „Haben Sie mir diese Blumen gekauft?“, fragte die Frau. Ihre Augen leuchten immer mehr. „Sie haben jetzt einen Auftrag“, sage ich. „Zählen Sie die Rosen in diesem Strauß. Wenn Sie zurückkommen in Ihr Altenheim, dann schenken Sie so vielen Menschen eine Rose, wie Rosen in diesem Strauß sind.“ Die Frau wandte ein, sie wisse nicht, wer die Blumen für sie besorgen sollte. „Sie werden einen Weg finden“, sagte ich. „Sie können aber auch Folgendes tun: Wenn Sie sich an den Rosen satt gesehen haben – aber erst, wenn Sie sie lange genug gesehen haben – dann lösen Sie diesen Strauß auf und geben Sie jeder Krankenschwester, der Sie begegnen, eine Rose.“ „Das tue ich“, sagte die Frau und strahlte.