Spiel gegen die Langeweile

Ein vierzehnjähriger Junge kam in Beratung, weil seine Schulleistungen in den letzten Monaten so stark nachgelassen hatten, dass er bei gleichbleibenden Leistungen nicht versetzt werden würde. „Ich habe die Schule nicht besonders gemocht“, sagte ich zu ihm. „Ich war froh als ich sie ‚rum hatte“. „Das werde ich auch sein“, sagte er. „Ehrlich gesagt, hätte ich keine Lust gehabt, ein Jahr länger als nötig in der Schule zu sein. Ich weiß nicht, wie es dir geht.“ „Nee, das muss nicht sein.“ Wäre es dir recht, dass wir etwas dafür tun, dass du dir dass ersparst?“ „Das wär schon gut.“ „Was hindert dich denn daran, mehr für die Schule zu tun?“ „Das interessiert mich einfach nicht.“ „Was interessiert dich denn? Gibt es etwas, was du gern machst?“ „Ich spiele gern Fußball.“ „Einfach so auf der Straße oder im Verein?“ „Ich bin in einem Verein.“ „Spielt ihr da manchmal auch Turniere?“ „Klar. Letztes Jahr waren wir zweiter Bezirksmeister.“ „Ich habe eine Bitte an dich oder einen Vorschlag. Welches Schulfach ist denn am langweiligsten?“ „Englisch.“ „Dann fängst du da an. Wenn Englisch keinen Spaß machst, dann spielst du eben Fußball während der Englischstunde. Du spielst mit deinen Leuten gegen eine sehr starke Mannschaft. Bis jetzt haben sie meistens gewonnen. Du spielst gegen die Langeweile.

Das Spiel geht so: Mal dir in Englisch ein Fußballfeld auf ein Blatt Papier. Immer wenn du plötzlich aufwachst und merkst, d hast gar nichts mitbekommen von dem, was gesagt wurde, hat die Langeweile ein Tor geschossen. Dann machst du einen Strich auf der Seite des Fußballfeldes der der Mannschaft der Langeweile gehört. Immer wenn du dich meldest und etwas Richtiges gesagt hast, hast du ein Tor geschossen. Natürlich willst du bis zum Ende der Stunde mehr Tore schießen als die Langeweile. Du kannst auch einen Schultag als Turnier ausbauen: Jedes Fach ist eine andere Mannschaft der Bezirksliga. Am Ende willst du natürlich Meister sein. Probiere das bitte aus und sag mir beim nächsten Mal, wenn wir uns wiedersehen, was sich verändert hat.

Bis zum nächsten Mal hatten sich die Mitarbeit des Jungen im Unterricht wesentlich verbessert. Die Schule machte ihm mehr Spaß. In den darauffolgenden Wochen zeichnete sich ab, dass auch alle schriftlichen Arbeiten wesentlich besser ausfielen als die Vorherigen. Seine Zeugnisnoten am Schuljahresende waren durchweg ein bis zwei Stufen besser als es für die Versetzung nötig gewesen wäre.

Die Ahnungslosen

„Ich habe oft Jugendliche vor mir sitzen, die auf jede Frage, die ich ihnen stelle, antworten: ‚Keine Ahnung‘. Was kann man mit denen machen?“ fragte mich eine Beraterin.

„Erzähle ihnen vom Stamm der Ahnungslosen“, sagte ich. „Sie leben im Dschungel der Unwissenheit und haben echt keine Ahnung. Als sie sich Hütten bauen wollten, haben sie am Anfang Gras genommen. Das hat aber nicht geklappt, dann haben sie Blätter genommen. Danach haben sie es mit Lianen probiert, das war auch nicht so gut. Rindenstücke waren zwar besser, aber auch nicht überzeugend. Sie haben alles mögliche versucht, es war alles nichts. Die Holzhütten haben dann schließlich gehalten. Dann wollten sie sich Kleider machen. Und sie hatten echt keine Ahnung. Sie haben mit Schlamm experimentiert, den sie auf der Haut haben trocknen lassen, und danach mit Büffelmist, den sie zu breiten Fladen ausgerollt haben und nach dem Trocknen um die Hüften gelegt haben. Das war zwar besser, hat aber bei Regen nicht mehr funktioniert. Kleider aus Dornengestrüpp waren auch nicht das Richtige. Irgendwann haben sie dann Flechtröcke und Lederstücke verwendet, von da an ging es besser. Die waren so blöd, die waren echt ahnungslos. Einmal wollten sie ein Boot bauen. Da haben sie Wasserpflanzen verwendet. Auch die Boote aus Stein waren nicht gut. Die Ahnungslosen haben alles Mögliche probiert. Sie waren so ahnungslos, dass sie noch nicht mal ans Aufgeben gedacht haben. Das ist schon eine Leistung. So haben sie halt immer weitergemacht. Irgendwann hat mal einer einen Baum ausgehöhlt. Das hat funktioniert, das haben sie beibehalten. Dann wollten sie Fischen fahren. Erst wollten sie die Fische vergiften, aber das war nicht so gut… und so weiter…

Erzähle den Jugendlichen so lange von den Ahnungslosen, bis sie es überdrüssig werden und von ‚keine Ahnung‘ nichts mehr wissen wollen. Erzähle ihnen so lange, wie die Ahnungslosen ‚keine Ahnung‘ hatten, bis die Jugendlichen zwischen Amüsiertheit und zunehmend genervter Ungeduld schwanken. Dann erzähl ihnen eine Lösung und ziehe die nächste Etappe wieder in die Länge. Nimm dir Zeit. Lass die Ahnungslosen so doof sein, wie es nur geht, und noch viel unfähiger, als die Jugendlichen sich fühlen. Lass sie so bescheuert sein, dass die Jugendlichen nur über sie lächeln können. Die Ahnungslosen sind maximal blöd. Das Gute ist nur, dass sie immer weiter machen und immer Erfolg haben. Wer den Stamm der Ahnungslosen kennt, für den ist, ‚keine Ahnung‘ zu haben, nicht mehr cool und auch nicht mehr egal. Aber es ist auch keine Tragödie. Man kann etwas daraus machen.“

Antidepressivum

In der Klinik erzählte mir gestern eine ältere Frau, dass sie immerzu Schmerzen habe, dass sie mutterseelenallein sei und dass sie sterben wolle. Ihr Mann und ihr späterer Lebensgefährte seien verstorben. Sie habe keine Geschwister, keine Kinder und auch sonst niemanden, der sich für sie interessiere. Sie lebe in einem Altenheim und könne das Bett nicht verlassen. Sie sehe keinen Sinn in ihrem Leben mehr. Sie fragte mich, ob ich etwa noch einen Sinn darin sähe.
„Ihr Leben hat auf diese Art wirklich keinen Sinn mehr“, sagte ich. „Sie können ihm aber möglicherweise einen geben. Da draußen sind noch mehr Menschen, die so einsam und unglücklich sind wie Sie. Diese anderen Menschen haben das ebenso wenig verdient. Sie können sich Papier, Schere, Klebstoff, Blumenprospekte und Stifte geben lassen und können Geburtstagskarten basteln und verschicken für diese Leute, denen es genauso geht, wie Ihnen.“ „Wozu?“ war die Antwort. „Das bringt doch nichts. Mir hat noch nie jemand Blumen geschenkt.“ „Sie mögen Blumen gerne, ja?“ fragte ich, und wir unterhielten uns über Blumen. Wenigstens jetzt leuchteten ihre Augen.
Nach einer Weile verabschiedete ich mich. Ich ging zum Blumenladen und kam wieder mit einem Strauß von orangenroten Rosen in verschiedenen Farbtönen. „Das Kraut hier mit den roten Früchten ist Johanniskraut“, erklärte ich. „Das ist ja eigentlich ein Antidepressivum. Die Verkäuferin hat gemeint, vielleicht wirkt es auch, wenn man es anschaut. Wer kann das wissen?“ „Haben Sie mir diese Blumen gekauft?“, fragte die Frau. Ihre Augen leuchten immer mehr. „Sie haben jetzt einen Auftrag“, sage ich. „Zählen Sie die Rosen in diesem Strauß. Wenn Sie zurückkommen in Ihr Altenheim, dann schenken Sie so vielen Menschen eine Rose, wie Rosen in diesem Strauß sind.“ Die Frau wandte ein, sie wisse nicht, wer die Blumen für sie besorgen sollte. „Sie werden einen Weg finden“, sagte ich. „Sie können aber auch Folgendes tun: Wenn Sie sich an den Rosen satt gesehen haben – aber erst, wenn Sie sie lange genug gesehen haben – dann lösen Sie diesen Strauß auf und geben Sie jeder Krankenschwester, der Sie begegnen, eine Rose.“ „Das tue ich“, sagte die Frau und strahlte.

Die Insel der Liebe

Als Paartherapeut habe ich manchmal goldige, süße, nette Paare vor mir sitzen, die sich trennen wollen oder müssen – und leider kann ich sie daran nicht hindern. Andere Male gibt es sehr merkwürdige Paare, zu denen ich am liebsten sagen möchte: „Warum trennt ihr euch eigentlich nicht“ Aber sie bleiben zusammen, warum auch immer. Wenn die Paare mir auf die eine oder andere Art allzu sonderbar werden, dann erzähle ich ihnen manchmal eine Geschichte. So wie diese:

Weit draußen im Meer vor der Küste, hinter dem Stürmischen Kap, befindet sich eine kleine Insel. So klein ist sie, dass sie nur auf den allergenauesten Karten verzeichnet ist. Trotzdem besitzt sie in kundigen Kreisen eine gewisse Berühmtheit. Die Seeleute nennen sie die „Insel der Liebe“. Weiterlesen

Erickson-Geschichten VI

Erickson erzählt: Ein Bauarbeiter stürzte aus dem 40. Stockwerk, und bis auf seine Arme war er am ganzen Körper gelähmt. Für immer. Für das ganze Leben. Er wollte wissen, was er in seiner schmerzlichen Situation tun könne. Ich sagte: „Viel ist es nicht, was Sie tun können. Sie können Schwielen an Ihren Schmerznerven entwickeln. Auf diese Weise werden Sie den Schmerz nicht so stark empfinden. Ihr Leben wird Ihnen nun sehr langweilig erscheinen. Lassen Sie sich daher von Ihren Freunden Cartoons mitbringen und Comics. Die Krankenschwester soll Ihnen Klebstoff und eine Schere geben. Machen Sie dann Alben aus den Cartoons, Witzen und komischen Aussprüchen. Sie können wirklich sehr viel Spaß dabei haben, wenn Sie solche Alben zusammenstellen. Jedesmal, wenn einer Ihrer Kollegen im Krankenhaus landet, schicken Sie ihm ein Album.“ Und so fertigte er ich weiß nicht wie viele hundert Alben an. (Rosen, 218)

Mentale Spiele V

Langeweile? Vergeht die Zeit im Kriechtempo?

Bekannt ist, dass die empfundene Zeit sich von der gemessenen oft stark unterscheidet; sie kann langsamer oder schneller vergehen. Es macht einen Unterschied, ob man einen „langweiligen“ Vortrag hört oder ein „kurzweiliges“ Spiel spielt. Bekannt ist auch, dass Menschen in Trance ein ganz anderes Zeiterleben haben als im Wachzustand. Meistens unterschätzen sie die verstrichene Zeitspanne erheblich; man bezeichnet das Trancephänomen als „Zeitverzerrung“. Bekannt ist schließlich auch, dass Menschen während eines Unfalls oder bei einer anspruchsvollen schnellen Tätigkeit das Geschehen erleben, als verlaufe es in Zeitlupe. Vielleicht habt ihr aber auch schon einmel die Wolken, eine Schnecke, den Sonnenuntergang oder Mondaufgang so lange betrachtet, bis die Bewegungen euch immer schnellerzu werden schienen. Zeiterleben wird psychisch reguliert.

Heute hatte ich ein Gespräch mit einem Mann, der ganz langsam redete. Immerzu suchte er nach Worten und viele seiner Sätze kamen nie zu einem Ende. Der Mann konnte nichts dafür, aber ich wurde sehr ungeduldig beim Zuhören. Seine Langsamkeit machte mich rasend. So stellte ich mir einen Drehschalter vor, mit dem ich die Geschwindigkeit meines Zeiterlebens einstellen konnte. Innerhalb von kaum einer Minute schien mir der Mann in einer ganz normalen Geschwindigkeit zu sprechen. Er war überhaupt nicht mehr langsam, und meine Ungeduld war verflogen. Der Hypnotherapeut Milton Erickson hat auf diese Art rhythmisch auftretende Schmerzen wie etwa pulsierende Kopfschmerzen behandelt: Man übt den Gebrauch des Zeitschalters ein und stellt die Geschwindigkeit der Zeit in den Schmerzphasen auf „sehr schnell“ und in den angenehmen Zeiten auf „langsam“. Übrig bleiben überwiegend angenehme Zeiten.

Zeitverzerrung

Vorhin hat mir jemand unter dem Betreff „Hypnose“ eine E-Mail geschrieben:

„Hallo Stefan, du wirst mir langsam etwas unheimlich. Das ganze ist ja hochgradig gefährlich 🙂 Habe gerade das Trance-mp3 angehört. Mein Verstand und Gefühl sträubt sich erheblich gegen die Vorstellung, dass das 16 Minuten gewesen waren. Allerdings traue ich weder dir noch den Kricks oder wer auch immer das mp3 digitalisiert hat zu, eine Manipulationsmöglichkeit zur Anzeige der abgespielten Zeit mit eingebaut zu haben. hmmmmmmm…….“

Da kann ich nichts dafür, und meine Webtechniker auch nicht: Zeitverzerrung ist ein Trancephänomen. Die gefühlte Zeit ist in Trance kürzer als die gemessene Zeit Weiterlesen