Das Story-Mobil

Eine wunderschöne Idee, um die Menschen gut durch die Coronakrise zu begleiten, hat der schweizer Geschichtenerzähler, Puppenspieler, Sänger und Bauchredner Martin Niedermann entwickelt. Aus einem alten holländischen Cargo-Fahrrad hat er eine fahrbare Bühne gebaut. Damit fährt er zu den Menschen fährt und erzählt ihnen – ganz Corona-kompatibel – draußen an der frischen Luft unterhaltsame und heilsame Geschichten. Erzählen braucht Begegnung, so schafft und erhält es Traditionen. Und doch lässt sich, man mag’s bedauern, die neue, digitale Welt sich nicht aufhalten. Also kann man den fahrenden Geschichtenerzähler online buchen und physisch hören und sehen!

Martin Niedermanns Story-Mobil

Martin Niedermann arbeitet übrigens als Heilpädagoge in einer Schule in Bern. Er kennt den schweizer Sagenschatz und viele, viele Märchen in- und auswendig. Daneben erfindet und erzählt auch therapeutische Geschichten. Er ist Mitautor des Buches „Wie der Tiger lieben lernte – 120 Geschichten zum Umgang mit psychischem Trauma„, das im März beim Ernst-Reinhardt-Verlag erschient.

Ach, natürlich: Die Webseite zum Story-Mobil und seinem großartigen Erzähler findet ihr hier!

Mit Geschichten durch die Krise, Teil 10: Adlerflug

Woher weiß der Adler, dass er fliegen kann? Und was machen die Adler bei Gewitter? Fragen, die ihr euch vielleicht noch nicht gestellt habt. Sind sie deswegen aber ohne Bedeutung? Wer mag, findet hier – Antworten…


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Die Originaltexte zu der Erzählung finden sich im Buch „Der Grashalm in der Wüste“ (impress, Mainz 2006, S. 20) und im „Handbuch des Therapeutischen Erzählens“ (Klett-Cotta 2009, S. 52).

Mit Geschichten durch die Krise – Teil 4: Ein neuer Morgen

Für die, denen es allmählich langt, und für alle, die nach Ostern gerne wieder aus der Krise auftauchen möchten…


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Die Geschichte findet ihr in dem Buch „Wie das Krokodil zum Fliegen kam“ (Reinhardt 2016), von Katharina Lamprecht, Adrian Hürzeler, Martin Niedermann und mir, auf S. 90.

Alles muss raus!

„Verkehrskontrolle. Ihre Papiere bitte. Haben Sie etwas getrunken?“ „Glühwein. Ich war auf dem Weihnachtsmarkt.“ „Mehr nicht?“ „Nein.“ Ich musste ja nicht extra hervorheben, dass es zwei Becher Glühwein gewesen waren. Der erste Becher war immerhin schon über zwei Stunden her. Aber reichte das, um unter der Promillegrenze zu bleiben? „Wir wollen Ihren Alkoholspiegel testen. Sind Sie einverstanden, mal in das Röhrchen zu pusten?“ „Ja“, sagte ich und dachte: „Lieber Gott, wärest du einverstanden, irgendwie den Alkohol aus meinem Blut zu holen?“ Der liebe Gott antwortete nicht. Wie so oft. Oder vielleicht antwortete er mit einem Gedanken in meinem Kopf? „Liebe Leber, hole mal bitte den Alkohol aus dem Blut. Lieber Körper, liebe Blutgefäße, liebe Blase, bitte alle mitarbeiten!“ „Pusten Sie bitte hier hinein…“ Ich tat, wie ich geheißen wurde. Die Polizisten gingen zu ihrem Auto, sahen sich das Ergebnis an, redeten kurz miteinander und kamen dann wieder. „Sehr vorbildlich! 0,0 Promille! Sie können weiterfahren.“

 

 

Gefangener Vogel

Vor vielen Jahren besuchte ich mit einer Reisegruppe das Konzentrationslager Auschwitz. Es war eine organisierte Busfahrt. Ich kannte die anderen Reisenden nicht. So war ich allein auf dem Gelände unterwegs. Kurz vor der vereinbarten Zeit für die Rückfahrt – ich musste eigentlich schon zurückkehren – beschloss ich, noch einen Abstecher zu einem Wachtturm am hinteren Ende des Geländes zu unternehmen. Es war ein Stück Weg bis dorthin und ich beeilte mich, zügig hinzukommen. Die Tür zum Turm stand offen. Ich ging hinauf, um von oben auf das Gelände zu schauen. Vielleicht war es der Versuch, zu erahnen, was ein Aufseher von dort gesehen, gedacht und gefühlt haben mag.

Oben angekommen erwartete mich eine Überraschung. In dem überdachten und verglasten Raum auf der Plattform suchte ein Vogel den Weg nach draußen. Wieder und wieder flog er gegen die Scheiben. Wie war er dort hineingekommen? Ich schaute mich um und fand in einer der Scheiben ein faustgroßes Loch. Ich war mir nicht sicher, ob der Fahrer auf dem Parkplatz meine Abwesenheit bemerken und auf mich warten würde. Ich musste zum Bus. Andererseits war hier der Vogel, gefangen im Überwachungsraum auf dem Turm. Ich konnte nichts gegen das große Elend von damals tun, aber musste ich nicht etwas gegen das Elend von heute tun, auch wenn es viel kleiner erschien? Mich jammerte das Tier in seiner Angst. Und gleichzeitig – war das abergläubisch? – schien es, als hätte sich in ihm eine Seele verkörpert, die den Weg in die Freiheit nicht fand.

„Du musst zum Bus!“, sagte eine Stimme in mir. „Der Vogel wird das Loch schon irgendwann finden.“ „Du kannst nicht weg, wenn der Vogel hier drinnen ist!“, sagte eine andere Stimme in mir. „Wenn du jetzt weggehst, bist du einer von denen, die wegschauen, die nichts lernen, die nichts zum Besseren wenden!“ Ich versuchte, den Vogel zu fangen. Seine Angst wurde größer. Immer hektischer flog er gegen die Fenster. Schließlich ließ er sich nach unten fallen und versteckte sich hinter einer Holzvertäfelung, einer Art doppelten Wand. Vielleicht war der Raum früher isoliert gewesen, um ihn im Winter beheizen zu können. Ich fasste hinter die Vertäfelung. Es gelang mir, den Vogel in eine Ecke zu drängen. Ich griff nach ihm und hielt ihn in meinen hohlen Händen. Langsam zog ich ihn heraus. Ich hielt die Hände vor das Loch. Vorsichtig öffnete ich sie. Der Vogel flog heraus. Er war frei.

Ich machte mich auf den Rückweg. Vor meinem inneren Auge sah ich Berge von Schuhen, Berge von Brillen, einen Berg von Asche. Vor allem aber sah ich einen Vogel, der seinem Gefängnis entronnen war. Er hatte mein Herz berührt.

 

Zwei Geparde

In einem afrikanischen Naturpark wollte man Geparde auswildern. Unter anderem konnte die Parkleitung zwei kranke Gepardenbabies günstig bekommen, #einen Bruder und eine Schwester. Nach langer fürsorglicher Pflege wurden sie beide gesund und kräftig. Als sie erwachsen waren, brachte man sie in ein großes Freilandgehege, wo sie andere Geparde kennenlernen konnten. Der Junge freundete sich mit einer Gepardin an, blieb bei ihr, und sie bekamen Junge. Das Gepardenmädchen aber kam jedes Mal, wenn die Wildhüter nach ihnen schauten, ließ sich streicheln, schnurrte und schien zu sagen: „Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!“ Am Zusammensein mit den anderen Geparden war sie offenbar nicht interessiert. Nach vielen Besuchen dieser Art nahmen die Wildhüter sie wieder mit ins Camp, wo sie blieb, sich streicheln ließ und sich sichtlich wohl fühlte. Die Wildhüter sagten, sie wirkte bei ihren Menschen jetzt noch glücklicher als zuvor. Sie sagten: „Sie weiß jetzt, sie ist keine Gefangene. Sie konnte wählen.“ Beide Geparde wählten. Am Ende hatte jeder seine Freiheit.

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Konrad in den Bergen

Vergangenes Wochenende waren wir, die vier Autoren des Krokodilbuches in den Bergen… wie bereits erzählt. Was ich noch nicht erzählt habe: Konrad war auch dabei. Katharina Lamprecht, eine von seinen vier Eltern, erzählt, was er dort erlebt hat.

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Ein Tipp: Im Herbst erscheint das Therapeutische Kartenset „Wie das Krokodil zum Fliegen kam“, passend zum Buch…

Das Bergdorf

Es ist schon eine Tradition – mit meinen Autorenkollegen Martin Niedermann, Katharina Lamprecht und Adrian Hürzeler treffe ich mich an Ostern auf einer Hütte im Berner Oberland. Wir erzählen uns Geschichten, besprechen unsere Projekte miteinander und schmieden Pläne miteinander, die dann oft tatsächlich wirklichkeit werden – so wie das Buch vom fliegenden Krokodil im vergangenen Jahr oder wie das Therapeutischen Kartenset, das im Herbst erscheint (ebenfalls beim Reinhardt-Verlag unter dem Titel „Wie das Krokodil das Fliegen lernte). Die in vielen Stunden von Martin Niedermann und seinen Helfern wiederaufgebaute Hütte des Gleiswächters – von der vorher nur eine Ruine erhalten geblieben war – bot uns Unterkunft und mir Anlass, die Geschichte vom Bergdorf zu erzählen…

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Venedig

Auch diese therapeutische Geschichte habe ich von Bettina Betz, danke ganz herzlich und freue mich, dass ich sie mit euch teilen darf!

Venedig ist eine untergehende Stadt, sagt man. Sie ist nicht nah am Wasser sondern im Wasser gebaut. Seit sie existiert glaubt man vorhersagen zu können, wann sie dem Meer zum Opfer fallen wird.

Ich habe gelesen, dass die Gefahr, abzubrennen für Venedig noch größer sei. Die Stadt ist sehr dicht bebaut. Wenn es brennt, ist die Feuerwehr auf die Kanäle angewiesen. Von Zeit zu Zeit werden diese jedoch zu Reinigungszwecken leergepumpt. Wenn das Feuer also an der „falschen Stelle“ ausbricht und der nächstgelegene Kanal gerade trocken liegt, hat die Feuerwehr weder einen direkten Zugang zum brennenden Gebäude noch einen schnellen Zugriff auf Löschwasser.
Wenn man sagt, man liebt Venedig, dann hört man oft: „Ja, das Morbide hat eine starke Anziehungskraft.“ Die Stadt scheint ein Symbol für die Sehnsucht nach dem Tod zu sein. Viele Geschichten und Filme, die den Tod thematisieren, spielen dort. Die Fassaden der Palazzi bröckeln, das Meerwasser schwappt jährlich meterhoch über den Markusplatz, Touristenströme überschwemmen die ganze Stadt, ihre Füße scheinen sie in den Meeresboden stampfen zu wollen.

Für mich ist Venedig ein Symbol der Lebenskunst. Dabei denke ich nicht an seine große Vergangenheit, sondern sehe es, wie es heute ist: In den maroden Fassaden sitzen blankgeputzte Fenster, hinter den Vorhängen blinken Kronleuchter. Die unscheinbaren Häuser um den kleinen zentralen Platz des Ghettos verbergen nach wie vor fünf Synagogen mit prächtiger Ausstattung. Viele Gebäude werden restauriert und gepflegt und zeigen sich in voller Schönheit. Die verschlungenen engen Gassen sind voller Überraschungen. In den Restaurants wird nach allen Regeln der Kunst gekocht. Die „aqua alta“ geht jedes Mal wieder zurück.

Beim letzten Brand des berühmten Theaters „La Fenice“ (es gab unzählige in der Geschichte Venedigs) stand der Wind günstig und Nachbarn riefen rechtzeitig die Feuerwehr. So hatte sie genügend Zeit, zwar nicht das Theater, aber die Stadt vor dem Feuertod zu retten. Der angrenzende Kanal war in dieser Nacht gerade leer.
Vom Himmel her betrachtet sieht die Stadt Venedig aus wie ein Fisch.
Vielleicht ist sie ein Delfin. Wie sonst könnte sie es so lange über Wasser aushalten?

Die Angst auf der Bande

Eine Seminarteilnehmerin, die als Trainerin für Reitsport und im Heiltherapeutischen Reiten ausgebildet ist, erzählte mir von einer Frau, die sich nach jahrzehntelanger Pause sehnlich wünschte, wieder zu reiten und vor allem auch zu galoppieren, die aber zugleich große Angst davor hat. Die Reitschülerin berichtete, dass sie einmal vom Pferd gefallen sei, daran müsse sie nun denken. Als sie im Schritt an der Longe ritt, schlug die Lehrerin ihr vor etwas sehr Ungewöhnliches, ein bisschen Verrücktes zu probieren. Sie fragte: „Wie sieht denn die Angst, die du vor dem Angaloppieren hast, aus?“ „Sie guckt sehr streng, sie ist schon etwas älter und sie schüttelt den Kopf, wenn ich an Galopp denke“. „Da kannst du froh sein, eine so gute Aufpasserin zu haben, die dich davor beschützen will, etwas Dummes zu unternehmen!“. Die Reiterin strahlte: „So habe ich das noch gar nicht gesehen!“ „Die Angst will dich beschützen. Sie wird aber im Moment nicht wirklich gebraucht, weil ich ja da bin und du auch an der Longe bist. Wohin in der Halle kannst du die Angst denn setzen?“ Die Reiterin überlegte eine Weile und sagt: „Da auf die Bande!“ „Wie guckt denn die Angst dich an?“ „Sie sieht nicht froh aus, ist aber auch neugierig und interessiert.“ „Und wie fühlst du selbst dich jetzt, als Reiterin ohne Angst in dir, da die ja jetzt auf der Bande sitzt?“ „Ja, ich kann jetzt angaloppieren“, sagte die Reitschülerin, und ohne dass die Lehrerin etwas unternahm, galoppierte sie das Pferd an, strahlte begeistert und rief: „Das geht ja wirklich!“ Sie reitet das Pferd seitdem frei auch im Galopp und setzt ab und zu noch „eine kleine Angst“, wie sie es nennt, auf die Bande.

(Vielen Dank an Ursel Kübler…)