Laufen lernen, und tanzen…

Heute hatte ich eine Frau in Hypnosetherapie, die nach einer Hirnblutung mit halbseitiger Lähmung die Wiedereingliederung ins Berufsleben anstrebt. Sie wollte Unterstützung wegen depressiver Tendenzen, aber auch ein mentales Training, das ihr bei der weiteren Zurückgewinnung ihrer Handlungsfähigkeit auf der rechten Körperhälfte helfen konnte. Sie ist Lehrerin und Mutter zweier Teenager und berichtete mir, dass sie früher gerne geritten und geschwommen sei.

Ich redete mit ihr darüber, dass sie zwei Kindern das Laufen beigebracht habe und wisse, dass es gut ist, die Kinder bei Rückschlägen nicht zu schimpfen, sondern zu ermutigen. Dann erzählte ich ihr etwas über die Mühen des Laufenlernens, wie viele Dinge dabei koordiniert werden müssen, und wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist und wie wunderbar es ist, dass ihre Söhne wie auch sie selbst das gelernt hat. Ich habe ihr gesagt, dass ihre gelähmte Körperseite sei wie eine Tochter, die das Laufen lern, und ihre gesunde Seite wie die Mütter, die das schon könne und der Tochter beibringe, und dass diese Mutter ganz gewiss wisse, wie gut es ist, aus Liebe Geduld mit diesem langen Prozess zu haben und die andere Seite mit genau der Liebe und Geduld beim Lernen zu unterstützen, die sie gegenüber ihren Söhnen gezeigt hatte und gegenüber einer Tochter zeigen würde.

Während ich redete, klingelte ihr Mobiltelefon und zog einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf sich. Der Klingelton war eine Salsamelodie, und so begann ich davon zu erzählen, dass sie diesen Klängen entspannt lauschen könne, und nichts zu tun brauche, sondern nur an einen Urlaub denken in einem Land, in dem diese Musik gespielt wird, oder auch daran, wie sie selbst früher getanzt hat und wieder tanzen wird. Ich erzählte davon, wie die Bewegungen, die sie wieder neu erlernt anfangs nur als Vorstellungen in ihrem Inneren bestehen, aber als Vorstellungen, die Impulse auf ihre Muskeln übertragen, und diese Impulse ziehen immer stärkere Wirkungen nach sich, bis sie in eine sichtbare Muskelbewegung übergehen, selbst dort, wo vorher keinerlei Regung sichtbar war. Während ich redete, begann das Handy wieder zu klingeln, und wieder. Jedesmal, wenn es klingelte, erzählte ich vom Tanzen, das als Vorstellung im Kopf beginnt und das Impulse an die Muskeln erzeugt, die die Beweglichkeit erhöhen, bis sie eines Tages tatsächlich wieder tanzt wie früher. Und zwischendurch erzählte ich davon, wie sie als Kind schon mit großer Mühe das Laufen erlernte, mit vielen Rückschlägen, aber unermüdlich, in dem Wissen, was andere gelernt haben, das lerne ich auch. Ich werde gehen lernen, und laufen lernen, und irgendwann werde ich tanzen.

Volkszählung

Die Verwaltungsangestellte schüttelt den Kopf: Einen Reisepass? Den holen Sie bitte in Zimmer  402.“ Sie klingt genervt. Durch lange Korridore und über mehrere Treppen komme ich dort an. Ein Schildchen an der Tür verweist mich weiter zu Nr. 407. Im Flur davor warten ein halbes Dutzend Leute, bis sie dran sind. Angespannte Langeweile liegt darüber wie Blei. Ich warte eine Stunde, anderthalb. Schließlich darf ich eintreten. In Zimmer 407 erfahre ich, dass ich noch eine Bescheinigung mitbringen muss, von der ich nichts wusste, außerdem 35 Mark Bearbeitungsgebühr. So gehe ich wieder nach Hause. Ich komme vorbei an weihnachtlich geschmückten Häusern und Schaufenstern. Irgendwo steht eine Krippe, Maria, Josef und das Kind. Weihnachtsstimmung habe ich nicht. Da schießt es mir durch den Kopf: Wie es wohl damals Maria und Josef ergangen ist, als der römische Kaiser sie nach Bethlehem geschickt hat, um sie steuerlich zu registrieren und ihre Steuerklasse zu ermitteln? War das Leben damals noch einfacher?

Ich stelle mir vor, wie der kaiserliche römische Sachbearbeiter zu Maria sagt: „Sie sind also sein vertrautes Weib…, was soll das heißen?  Verlobte Ehefrauen gibt es nicht. Sind Sie nun seine Frau oder nicht?“ Maria nickt unsicher. Sie spricht galiläischen Dialekt und versteht ihn nur schlecht mit seinem Bethlehemer Akzent. Der Beamte deutet auf ihren Bauch und wendet sich an Josef: „Sind Sie der Vater?“ „Ja, äh, ich meine, nein“, sagt Josef. „Also unehelich“, meint der Sachbearbeiter. „Und wer ist der Vater?“ Von da an wird die Sache kompliziert.

Als Maria und Josef die Behörde verlassen, ist es Abend. Weihnachtsstimmung haben sie nicht. Dabei bat sich Josef sehr darauf gefreut, nach Bethlehem zu kommen. Die Heimat seiner Vorfahren. Aber als die Leute in der Herberge seinen galiläischen Akzent hören, sagen sie: Ausländer brauchen wir nicht. Geht zurück nach Nazareth, wo ihr hingehört.“ Sie gehen weiter. Maria kommt in die Wehen. Ein Bauer gibt ihr Notunterkunft in einem Stall. „Das geht nur vorläufig“, wie er betont. „Der denkt wohl, wir wollen unsern Ruhestand hier verbringen“, sagt Josef verärgert, während er Heu sammelt, um Maria ein Bett zu machen. In dieser Nacht wird das Kind zur Welt kommen, das die Propheten angekündigt haben. Das Kind, auf das die Juden warten. Das Kind, in dem Gott Mensch wird. Gottes Kind. „In was für ein Land ist dieses Kind geboren? In was für eine Zeit?“, so denkt Josef spät in der Nacht noch nach. In eine Zeit und ein Land, wo Menschen heimatlos umherziehen. Es heißt, die Herberge sei überfüllt. Manche Fremde werden behandelt wie das Vieh, jedenfalls von einigen Leuten. Es kann Leute geben, die sagen: „Eine Futterkrippe für euer Kind, das ist noch Luxus. Das Heu ist noch zu gut für euch.“ Irgendwann schläft Josef ein. Er träumt noch einmal, wie er an der Herbergstür steht. Doch diesmal stellt sich ein weißer Engel neben den Herbergsvater und flüstert ihm etwas zu. Der Engel spricht: „Hört mal, dieses Kind ist nicht irgendein Kind, das ist Jesus. Das ist der Christus, der Retter, den ihr erwartet.“ Und das Gesicht des Herbergsvaters wird hell. Er sagt: „Ach so. Wenn das so ist, dann kommt herein. Bringt Gottes Segen mit in Fülle! Hier ist euer Bett. Meine Frau und ich können auf dem Boden schlafen.“

Doch Josef und Maria schütteln den Kopf. Sie ziehen weiter. Sie finden irgendwo… ganz gewiss… an einem Platz, wo man Fremde wie Freunde behandelt… einen anderen Stall. Sie schauen einander an: Wie weit werden sie noch wandern?

Der Esel

Zu den Adventssonntagen und Weihnachtsfeiertagen möchte ich ein paar Geschichten erzählen, die vielleicht weniger Bezug zu Beratung haben, dafür aber zu dieser Jahreszeit und ihrer Bedeutung. Einige Geschichten mit spirituellem Hintergrund und Bezug zu meinem Erstberuf. Es geht sofort los.

Ich alter Esel! Was hab ich da getan? Ich habe Nein gesagt und Ja getan. Wie konnte ich nur? Ich bin ein Esel. Mit fremden Leuten wegzugehen. Leute, die ich nicht mal kannte! Ich meine, schlecht war es nicht. Eigentlich hat es gut getan. Eigentlich sehr sogar. Und ich habe viel dabei gelernt. Ich frage ja nur: Wie komme ich dazu? Ich meine: Erst hab ich natürlich auf stur gestellt. Was wollten denn diese beiden verzottelten Männer von mir? Kamen da an und wollten mich losbinden von meinem Haus. Klar hab ich da protestiert. I-aah! I-aah! I-aah! Da kam auch gleich kam meine Chefin gelaufen und fing an, heftig mit den beiden zu diskutieren, so richtig mit Händen und Füßen. Was denen denn einfiele, und so. Ich verstehe diese Menschensprache nicht so gut, aber das hab ich verstanden.
Die beiden Männer waren sehr freundlich und erklärten ihr, ich würde von jemand gebraucht. Das hab ich auch verstanden. Meine Chefin wurde dann bald ruhiger. Anscheinend kannte sie denjenigen, der mich da brauchte. Bald wurde sie richtig freundlich und bedrängte die Männer, auf Tee und Hirsefladen mit ihr ins Haus zu kommen. Ich glaube, die beiden hatten ziemliche Mühe, ihr beizubringen, dass sie mich jetzt gleich bräuchten und sie sich leider nicht aufhalten könnten. Schließlich gab sie nach.
Eigentlich wollte ich mich ja jetzt weiter stur stellen. Da neben mir war ja noch mein Fohlen. Sollte ich das allein lassen? Da wäre ich ja ein Rabenesel! Aber diese beiden Jungs haben einfach das Fohlen mit losgebunden. Unverschämtheit! Da blieb mir gar nichts anderes übrig, als mitzukommen. Ansonsten machten sie mir einen anständigen Eindruck. Ich gehe ja nicht danach, ob die Menschen sauber und gekämmt sind. Ich gucke mir an, wie sie miteinander umgehen. Meine Chefin hat mich freundlich getätschelt und mir gesagt, die bringen mich schon wieder. Haben sie auch gemacht. Aber erst kam noch was ganz anderes. Erst haben sie mich zu ihrem Chef gebracht. Das war der verzotteltste von allen. Aber mit einem unheimlich freundlichen Blick. Er hat erst mal mit mir geredet und mir die Nüstern gestreichelt. Hey, ein freundlicher Herr! Vor so einem kann ich Respekt haben. Die anderen Männer legten dann Kleider auf meinen Rücken, als Sattel sozusagen, auf den ihr Chef sich drauf setzen sollte. Das hat er auch getan. Ich dachte wieder: „Nicht ohne meine Tochter!“, und hab die Muskeln bis runter zu den Hufen angespannt. Dann sagte der freundliche Herr zu seinen Freunden, sie sollten meiner Kleinen auch etwas Kleidung auf den Rücken legen. Da hab ich kapiert, dass sie mit auf die Reise geht. Das war o.k.
Wie er so auf mir saß und ihn alle bewunderten, da spürte ich: Das gibt’s nur einmal. Das hier ist etwas Besonderes. Nach und nach kamen immer mehr Leute dazu, eine richtige Menschenmenge. Sie jubelten und schwenkten Zweige durch die Luft, und viele zogen ihre Obergewänder aus und breiteten sie wie einen Teppich vor mir aus. Eigentlich natürlich vor meinem Chef. Dem haben sie auch zugejubelt. „Hosianna!“ haben sie gerufen. Das ist nämlich Hebräisch und heißt: ,,Hilf uns doch!“ Sie nannten ihn „Sohn Davids“. David, das war mal ein großer König. Auf den sind die Leute in Jerusalem immer noch mächtig stolz. Der hat auch in Jerusalem gewohnt. Aber David ist schon so lange tot. Es gibt keinen König mehr. Oder sollte es jetzt doch einen geben? Ich dachte immer, die Römer regieren hier. Aber wie wir auf dieses Tor zugingen, also ich und mein Junges, und dieser freundliche Herr auf meinem Rücken, und diese jubelnde Menge ringsherum – also, das konnte nur ein König sein. So viel habe ich verstanden, und davon lasse ich mich auch nicht abbringen. Aber die Leute, die meisten von ihnen, haben nichts verstanden. Nämlich später haben sie „Kreuzige!“ geschrieen und damit geholfen, ihren König zu verurteilen. Sie haben erst „Ja“ gerufen und dann „Nein“ getan. Ich weiß, es ist schwer für die Menschen, einen König zu tragen, der nicht mit Gewalt die Römer vertreibt. Die Menschen sind Gewalt gewöhnt. Sie vertragen keinen, der mit Liebe regiert. So ungewöhnlich es ist: Die Liebe schmerzt sie mehr als die Gewalt.
Ich gebe zu, ich bin auch kein Engel. Ich bin ein Esel. Aber ich habe dazugelernt. Ich habe nur am Anfang „Nein“ gesagt und dann doch „Ja“ getan. Ich habe doch diesen König mit Stolz getragen. Ich trage ihn immer noch! Ich trage ihn nicht auf meinem Rücken. Ich trage ihn in meinem Herzen.

Seminartipp: Hypno-Systemische Ressourcen-Oase

Vom 15.1.-17.1.2010 findet in Kaiserslautern ein Seminar für Berater und Therapeuten statt. Teilnahmevoraussetzung sind Kenntnisse im Bereich der systemischen und / oder hypnotherapeutischen Beratung. Der Titel des Seminars lautet: „Hypno-Systemische Ressourcen-Oase – Hypnose- und Mentaltrainingstechniken zur Erhöhung von Kreativität, Energie, Sinn- und Glückserleben“.

Die Hypno-Systemische Ressourcenoase am 15.1.-17.1.2010 verfolgt das Ziel, die vorhandenen hypno-systemische Ressourcen auszubuddeln, aufzufrischen und sie um neue wohltuende Haltungen und Methoden zu erweitern. Die Ressourcenoase ist dazu da, zur Sicht- und Verhaltensweisen zu entdecken, die Lähmung, Ermüdung und Blockaden auflösen und das Möglichkeitsspektrum des eigenen Wahrnehmens, Denkens und Tuns zu entfalten. Die Oase ist dazu da, diese Möglichkeiten so verfügbar zu machen, dass sie von den Beratenden an die Klienten weiter gegeben werden können.

Inhaltliche Schwerpunkte sind:
– Methoden zur Stärkung von Selbstwert-Erleben
– Burnout-Prävention für Therapeuten und Klienten
– Mobbing – Interventionen zum Selbstschutz und für Klienten
– Der Umgang mit Ja-aber-Klienten
– Fitness-Studio für die Seele
– Supervision, ggf. Live-Demonstration mit Klienten

Termin:   15.1.2009, 15.00 Uhr bis 17.1.2009, ca. 17.00 Uhr
Ort:        Institut für Hypno-Systemische Beratung Kaiserslautern
Umfang:  24 Stunden (18 Zeitstunden)
Dozent:   Stefan Hammel
Kosten:   300,00 Euro (Studierende die Hälfte)

Die Anmeldung erfolgt über das Institut für Hypno-Systemische Beratung (Kieferberg 25, 67659 Kaiserslautern, Tel. 0631-3702093, Fax 0631-3702094).

Von Punkt zu Punkt

Als Kind hatte ich ein Malbuch, in dem sich Bilder befanden, die aus lauter unverbundenen Punkten bestanden. Neben jedem Punkt befand sich eine Zahl, und wer die Zahlen in der richtigen Reihenfolge verband, entdeckte das Bild, das hinter den Punkten versteckt war.
Ich frage mich – wenn bei einem solchen Bild aus irgendeinem Grund die Zahlen verloren gingen – wie viele Bilder wohl in dieser Ansammlung von Punkten versteckt sein mögen? Und wenn ein Mensch nie eine Sternkarte gesehen hätte, welche Sterne würde er wohl zu Sternzeichen verbinden? Wie viele verschiedene Sternenhimmel könnte es geben? Und wenn uns andere die Welt erklärt hätten, als die, die uns großgezogen haben, in welcher Welt könnten wir dann leben?
Auf wie viele Weisen können wir die Dinge der Welt als zusammenhängend oder unverbunden sehen? Wie viele Begriffe können wir bilden für Dinge, die nicht dinglich sind, für Frieden, Gerechtigkeit, Identität? Auf wie viele Arten können wir das Gerüst unserer Wertbegriffe miteinander verbinden oder unverbunden nebeneinander stehen lassen? Auf wie viele Arten können wir einen Menschen sehen, auf wie viele Arten sein Verhalten deuten?
Und immer male ich von Punkt zu Punkt.

Selbsttherapie bei Schüchternheit

Eugen war mit seiner Frau und seinem siebzehnjährigen Sohn Till in Urlaub. Der Junge war unglücklich darüber, dass er so schüchtern war, und fragte seinen Vater, wie er etwas dagegen tun könne. Eugen sagte: „Vor einiger Zeit war ich mit unserem Freund Stefan abends unterwegs. Uns störte, dass wir uns nicht trauten, mit Frauen, die wir nicht gut kannten, ins Gespräch zu kommen. Also vereinbarten wir einen Wettbewerb. Erst durfte ich ihm eine Mutprobe auferlegen, dann er mir, und dann abwechselnd den ganzen Abend so weiter. Durch ein Punktesystem sollte der Gewinner des Abends ermittelt werden. Es gab zwei Punkte für jede bewältigte Herausforderung, einen für jeden ernsthaften Lösungsversuch und null Punkte fürs Aufgeben. Die einzige Bedingung für die Lösung der Aufgaben war, dass unsere Experimente für niemanden kränkend sein sollten. Die erste Aufgabe bestand darin, der Bedienung im Café ein Kompliment zu machen, die zweite war es, mit einer Dame von irgendeinem Nachbartisch eine mindestens einminütige Konversation zu beginnen. Am Ende gab ich Stefan die Aufgabe, einer ihm unbekannten Frau einen Handkuss zu geben, ohne dass diese sein Vorgehen beanstandet.“ „Hat er das gemacht?“ „Er hat zwei Frauen, die uns auf dem Bürgersteig überholen wollten, angesprochen. Eine von ihnen redete gerade irgendetwas über ‚Mut‘. ‚Apropos Mut‘, sagte er zu ihr, ‚wir machen gerade eine Mutprobe. Ist das für Sie in Ordnung, wenn ich Ihnen einen Handkuss gebe?‘ Die Frau hat gestutzt: ‚Wer wäre denn dasnn mutig?‘, antwortete sie. ‚Sie und ich‘, sagte Stefan. ‚Und danach?‘ ‚Dann gehen Sie in die eine Richtung weiter, und wir in die andere.‘ ‚Mehr nicht?‘ ‚Mehr nicht.‘ Und Stefan bekam ihre Hand zum Kuss. Wir haben die beiden später an dem Abend noch einmal gesehen und haben uns sehr fröhlich gegrüßt.“ „Das mache ich auch“, sagte Till. Das nächste, was Eugen sah, war, dass Till in dem italienischen Dorf, in dem sie sich gerade befanden, Jeden, aber auch wirklich jeden Passanten, den er traf, mit einem überschwänglichen „Hi!“ begrüßte. Die Leute schauten etwas irritiert, aber einige grüßten zurück. Dann probierte er dasselbe mit „Ciao!“. Er bekam noch mehr Grüße und kam, obwohl er kein Italienisch sprach, mit etlichen Dorfbewohnern auf Deutsch, Englisch und Zeichensprache ins Gespräch. Einige Zeit später erwähnte seine Mutter, sie müsse in die Apotheke, Tampons kaufen. „Laß mal, ich mach das für dich“, meinte Till. Und er ging in die Apotheke. Die Apothekerin verstand ihn nicht und brachte ihm einen Schnuller. „Nicht hier“ antwortete Till, schüttelte den Kopf und deutete auf den Mund, „sondern hier“, und deutete zwischen seine Beine. „Tampons!“ „Wie? Für wen?“ fragte die Apothekerin. „Für meine Mutter“, sagte Till und strahlte.

Geschwistertherapie

Eine Mutter wollte ihren Sohn in Therapie bringen, weil er bei den häufigen Streitigkeiten mit seiner Schwester diese regelmäßig blutig kratzte. Auch gegenüber der Mutter sei er ungehorsam, fühle sich regelmäßig im Unrecht, beschimpfe sie mit groben Worten und versuche sie zu schlagen. Der Junge ginge in den Kindergarten, seine Schwester in die erste Klasse. Auch im Kindergarten sei der Junge aggressiv und habe daher wenige Freunde, obwohl die Erzieherinnen und die Kinder sich lange bemüht hätten, ihn zu integrieren. Der Vater der Kinder sei meistens beruflich unterwegs, die Mutter fühle sich mit dem schwer zu kontrollierenden Jungen überfordert.

Ich bat die Mutter darum, zur ersten Stunde beide Kinder zur Therapie mitzubringen. Ich ließ die Kinder erklären, auf welche Arten und aus welchen Anlässen sie sich stritten. Zur zweiten Stunde bat ich die Mutter, nur die Tochter mitzubringen. Ich fragte das Mädchen: „Was meinst du? Wenn du es wirklich wolltest – auch wenn du sonst vielleicht gar nicht so bist – würdest du es irgendwie hinkriegen, deinen Bruder richtig auf die Palme zu kriegen?“ „Na klar!“ „Echt? Das kriegst du hin? Wie würdest du das denn schaffen?“ „Ach, zum Beispiel würde ich ihm so eine Grimasse machen… und dann würde ich so gucken… und dann würde ich ihm die Zunge rausstrecken…“ „Und das funktioniert?“ „Ja, das klappt gut! Und dann würde ich ihm die Zunge rausstrecken…“ „Toll… und was könntest du machen, angenommen du wolltest tatsächlich einmal, dass er dich blutig kratzt?“ „Das geht ganz leicht. Da kann ich solche Gesichter machen, oder ich kann ihm seine Malstifte verstecken.“ „Toll! Könntest du sonst noch irgendetwas machen, wenn du ihn wirklich einmal so weit bringen wolltest, dass er dich kratzt?“ „Ach, da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Ich kann ihn zum Beispiel ‚Arschgesicht‘ nennen oder ihm meinen Hintern zeigen, oder kann ihm sagen, dass er dumm ist…“

Ich fragte noch eine Weile weiter, während die Mutter mit großen Augen daneben saß und ihre Tochter aus dem Nähkästchen plaudern hörte. Schließlich gab ich den Versuch auf, mir alle Methoden nennen zu lassen; es kam kein Ende in Sicht. „Müsste deine Mutter das mitkriegen, wenn du das machst, oder könntest du es auch so hinkriegen, dass sie gar nichts davon bemerkt?“ „Das mache ich ja im Kinderzimmer, da ist die nicht.“ „Und was passiert dann?“ „Dann läuft mein Bruder in die Küche und heult, und meine Mutter fragt was passiert ist.“ „Und dann sieht sie deine zerkratzten Arme, und du sagst, du hast nichts gemacht.“ „Ja“, sagte das Mädchen etwas leiser. „Ist das schön, wenn dein Bruder bestraft wird und du nicht?“ „Klar“, sagte sie. Ihre Augen leuchteten.

Ich bat die Mutter, im Fall von Streitigkeiten zwischen den Kindern zukünftig immer beide oder keinen zu bestrafen. Vielleicht sei das manchmal ungerecht gegenüber dem Mädchen, aber der Junge habe schon zu viele Strafen zu Unrecht bekommen. Im Schnitt sei so jedenfalls mehr Gerechtigkeit zu erreichen.

In der folgenden Stunde ließ ich den Jungen allein kommen. Ich erzählte ihm die Geschichte von Gregor, dem Drachen.

In der dritten Stunde ließ ich das Mädchen wieder kommen. Ich leiß sie Stofftiere aussuchen jeweils für ihren Bruder, für ihre Mutter, für ihren Vater und für sich, außerdem eines für „den Ärgerer, der sich freut, wenn es den anderen schlecht geht“. Ich ließ sie die Familienfiguren aufstellen. Den Ärgerer nahm ich selbst. Ich erzählte dem Mädchen, dass sich der Ärgerer freut, wenn die Familie nicht zusammenhält, und dass er denkt, das bestimmt kein Tier hilft, wenn er ihre Mutter angreift. Und ich ließ den Ärgerer das Tier angreifen, das ihre Mutter darstellte. Natürlich wurde der Ärgerer in die Flucht geschlagen und war ziemlich enttäuscht. Doch er berappelte sich und versuchte Vater und dann sie selbst anzugreifen. Jedesmal zog er den kürzen. Dann sagte der Ärgerer: „Ihren Bruder hat sie ja selbst oft geärgert. Den wird sie bestimmt nicht beschützen. Zu ihm hält sie bestimmt nicht, wenn ich ihn angreife.“ Doch wieder wurde er aufs Schlimmste zurückgeschlagen. Der Ärgerer redete das Tier an, das sie selbst darstellte und versuchte ihm mit vielen Listen zu erklären, dass ihr Bruder doch doof sei, und man ihn ärgern dürfe, ja, dass er ihr doch nur helfen wolle, ihn zu ärgern, und dass sie doch gemeinsam viel Spaß haben könnten. Doch auf keine dieser Listen fiel das Schwester-Tier herein. Der Ärgerer versuchte es auf alle Weisen, doch es zeigte sich, dass alle in der Familie zusammenhielten, und auch die Schwester ihren Bruder in jeder erdenklichen Weise unterstützte. Enttäuscht und gedemütigt musste der Ärgerer schließlich abziehen. Das Mädchen aber baute aus Seilen zwischen den Möbeln des Therapiezimmers ein Familiennetz, durch das kein Ärgerer jemals wieder eindringen konnte.

In der vierten Therapiestunde ließ ich nochmals die Mutter und den Sohn kommen. Ich ließ den Jungen mit zwei Seilen zwei Länder auf den Boden legen. Das Land des Ärgerns und – was wäre das Gegenteil? „Das Land des Schmusens“ meinte der Junge. Ich ließ ihn einige Tiere aussuchen, die im Land des Ärgerns lebten und andere, die im Land des Schmusens Lebten, und er legte sie in die jeweiligen, mit den Seilen markierten Zonen.

„Was machen denn die Tiere im Ärgerland alles miteinander?“, fragte ich den Jungen. „Und was machen die Tiere im Schmuseland?“ Dann wollte ich wissen: „In welchem Land sind die Tiere wohl glücklicher?“ Mich interessierte: „Meinst du, dass die Tiere aus dem Land des Ärgerns in das Land des Schmusens kommen wollen, oder wollen eher die Tiere aus dem Schmuseland ins Ärgerland hinüber?“ Es gab, wie erwartet, eine einseitige Emigrationstendenz. Ich fragte weiter: „Aber die Tiere aus dem Schmuseland werden die Tiere aus dem Ärgerland ja sicher nur hereinlassen, wenn die Tiere aus dem Ärgerland es hinkriegen, sich so zu verhalten, dass sie zu den Schmuse-Tieren passen, oder?“ Und dann: „Was machen denn diejenigen Tiere, die ins Schmuseland hereingelassen werden, in das alle Tiere aus dem Ärgerland gerne hineinwollen? Und wie kriegen sie das hin? Und was können sie noch alles tun, um hineinzudürfen? Und was machen sie alles dort, um da bleiben zu dürfen und nie wieder herausgeschmissen zu werden? Und wer darf alles jetzt schon rein ins Schmuseland, weil er schon gelernt hat, das so zu machen? Und was meinst du, wer darf als nächstes?“ Und immer mehr Tiere durften aus dem Ärgerland ins Schmuseland hinüber, weil sie es gelernt hatten, wie Schmusetiere zu leben. Schließlich stritten sich im Ärgerland nur noch ganz wenige, und bald danach war das Ärgerland leer.

Nach der vierten Sitzung rief die Mutter der beiden Kinder an, dass kein weiterer Therapiebedarf bestehe, weil sich die Probleme in der Familie wie auch im Kindergarten weitestgehend aufgelöst hätten.

Die Randlinie

Gestern fragte mich jemand nach einer Geschichte für eine Borderline-Patientin, die sich ritzt und sich oftmals schämt, weil die Haut ihrer Arme so rau und vernarbt ist. Ich sagte zu ihr:

„Vielleicht ist es dir auch schon passiert, dass du auf der Autobahn auf die Randlinie gefahren bist. Früher hat man zum Zeichnen dieser Randlinien einfach Farbe verwendet. Man hatte aber das Problem, dass manchmal Leute auf der Strecke eingeschlafen sind und von der Spur abgekommen sind. Dann hatte jemand eine gute Idee. ‚Wenn die Randlinie aus einem Material mit Querrillen ist, dann gibt es ein lautes Geräusch, sobald jemand mit seinem Auto die Rille berührt. Man wacht sofort auf und kommt zurück auf die richtige Spur.‘ Sie haben das ausprobiert, und schon nach den ersten Versuchen hat es immer besser geklappt: jedesmal, wenn jemand diese Grenzlinie schnitt oder sie überhaupt auch nur am Rande mit seinem Reifen berührte, gab es ein so lautes Signal, dass die Leute sofort zurücklenkten und weiterfuhren auf der dafür vorgesehenen Spur. Seit sie dieses Warnsignal beim Berühren derRandlinie eingeführt haben, sind Unfälle dieser Art weit zurückgegangen. Man kennt die Methode inzwischen auch bei Mittellinien und anderen in Frage kommenden Markierungen.“

Kopfpiep und Stilleklang

Diese Woche schrieb mir jemand die folgende E-mail, die ich mit seiner Erlaubnis zitiere…

Sehr geehrter Herr Hammel,

Ich möchte ihnen gerne meine Erfahrung mitteilen mit dem Hören der Stille-Klang-Hördatei, die ich von ihrer Website gedownloadet habe. Ich bin Pianist, habe seit 1 Jahr einen Piep im Kopf, lebe in Holland und bin an allen Therapieformen interessiert die es gibt für Tinnitus.

Nachdem ich bislang immer mit Klangstücke-CDs für Tinnituspatienten meditiert habe, war ihre StilleKlang eigentlich ein Schritt in eine ganz andere Richtung, nämlich Richtung Stille, anstatt den KopfPiep zu maskieren mit anderen Geräuschen / Klängen. Das fand ich faszinierend. Nach 3-maligem Hören hat sich zwar an den Beschwerden noch nichts geändert, wohl aber an meiner Sensibilität für Stille. Das führt dazu, dass ich nun im Alltag oft die Stille dem auflegen einer CD vorziehe, außerdem habe ich einiges aufgeräumt (ge-simplifyt). Das Thema: Musiker und Fehler / vollkommene Musik finde ich interessant.
Auch die Assoziation Hoch – Stille / Freiheit. Mit dem Bild des Aufzugs konnte ich nicht soviel anfangen, auch nicht mit dem 10stöckigen Haus (ich sehe dann immer ein langweiliges Bürogebäude). Ich werde die StilleKlang noch weiter hören, um zu sehen, ob ich noch Neues hinzuentdecke.

Meine Frage nun ist: Vielleicht haben Sie noch ein paar Tips für mich, oder auch Literaturhinweise, haben sie selber etwas geschrieben, oder andere, was zu meiner Situation passen würde?

Liebe Grüsse,

A. P.

Ich schrieb ihm zurück:

Sehr geehrter Herr A. P.,

Literatur zur hypnotherapeutischen Bearbeitung von Tinnitus gibt es fast keine.
Ein Buch von Dr. Steinriede kommt zu dem Ergebnis, man könne die erlebte Lautstärke (resp. Stille 😉 ) regelmäßig nicht beeinflussen, nur den psychologischen Umgang damit. Dem widersprechen die Beobachtungen / Messungen von Dr. Schneider und mir. Die von uns gemessenen Patienten haben nach der Arbeit mehr Stille oder völlige Stille erlebt. Ich arbeite meistens nicht mit einer förmlichen Hypnose und tiefer Trance, sondern mehr mit Alltagstrancen, wie man sie auch sonst beim Tagträumen erlebt. Eine Sammlung von Interventionen, die ich in dem Heidelberger Tinnitusversuch wiederholt verwendet habe, finden Sie skizziert unter: www.hsb-westpfalz.de/das-team/dr-p-schneider/interventionen.html . Ansonsten hier einige „Fragmente“ zur Hypnotherapie bei Tinnitus.

Der amerikanische Hypnotherapie-Entwickler Milton Erickson hat im Rahmen der Trancearbeit mit einem  Tinnitushörer folgende Geschichte verwendet.

Erickson erzählt: Ich gebe dir eine Geschichte, damit du es besser verstehst? wir lernen nämlich Dinge auf eine sehr ungewöhnliche Art, auf eine Art, von der wir nichts wissen. In meinem ersten Collegejahr kam ich an einer Kesselfabrik vorbei. Die Arbeiter waren an zwölf Kesseln gleichzeitig beschäftigt, und sie waren in drei Schichten eingeteilt. Und diese pneumatischen Hämmer schlugen unablässig auf das Metall und trieben Nieten in die Kessel. Ich hörte den Lärm und wollte herausfinden, was es war. Nachdem ich erfuhr, dass es eine Kesselfabrik war, ging ich hinein und konnte darin niemanden reden hören. Ich konnte sehen, wie die verschiedenen Angestellten Gespräche führten. Ich konnte sehen, wie sich die Lippen des Vorarbeiters bewegten, aber ich konnte nicht hören, was er zu mir sagte. Er hörte, was ich sagte. Ich bat ihn nach draußen, damit ich mit ihm reden könnte. Und ich bat ihn um Erlaubnis, meine Decke mitzubringen und dort für eine Nacht auf dem Boden zu schlafen. Er dachte, mit mir stimmt etwas nicht. Ich erklärte, dass ich ein angehender Medizinstudent sei und dass ich an Lernprozessen insteressiert sei. Und er erlaubte mir, dass ich meine Decke mitbringen und auf dem Boden schlafen dürfte. Er erklärte es allen Arbeitern und ließ einen Zettel für die nächste Schicht da. Am nächsten Morgen wachte ich auf. Ich konnte hören, wie die Arbeiter über diesen bescheuerten Jungen redeten. Warum zum Teufel schlief er hier auf dem Boden? Was wollte er denn dabei lernen? Im Schlaf während der Nacht blendete ich all diesen schrecklichen Lärm von zwölf oder mehr pneumatischen Hämmern aus und ich konnte menschliche Stimmen hören.

Ich wusste, es ist möglich, zu lernen, nur bestimmte Geräusche zu hören, wenn du deine Ohren richtig einstellst. Du hast ein Piepen in den Ohren, aber du hast noch nicht daran gedacht, die Ohren so einzustellen, dass du das Piepen nicht mehr hörst. Und wenn du zurückblickst, dann sind da eine Vielzahl von Zeiten, an denen du heute aufgehört hast, das Piepen zu hören. Es ist schwierig, sich an Dinge zu erinnern, die nicht auftreten. Aber das Piepen hat aufgehört. Aber weil nichts da war, erinnerst du dich nicht mehr daran? Nun ist das Wichtige, die Sache mit dem Piepen zu vergessen und sich an die Zeiten zu erinnern, als kein Piepen da war. Und das ist ein Lernprozess. Ich habe in einer Nacht gelernt, nicht mehr die pneumatischen Hämmer in der Kesselfabrik zu hören ? und ein Gespräch zu hören, das ich am vorigen Tag nicht hören konnte? ich wusste, was der Körper automatisch tun kann? Nun verlasse dich auf deinen Körper. Vertraue ihm. Glaube an ihn. Und wisse, dass dir das ausgezeichnet helfen wird.
(M.H.Erickson, in: D.C.Hammond, Handbook of Hypnotic Suggestions and Metaphors, 266)

Einige Interventionen von mir habe ich in kurzen Geschichten skizziert:

„Treiben Sie Sport?“ „Taekwondo.“ „Welcher Gürtel?“ „2. Dan.“ „Gut. Hören Sie zu. Stellen Sie sich vor, Ihr linkes Ohr, das die Stille gut kennt, ist der Meister. Ihr rechtes Ohr, das den Tinnitus kennt, ist der Schüler. Was kann der Meister den Schüler lehren, und was möchte der Schüler von seinem Meister lernen?“ „Konzentration.“ „Gut. Hören Sie dem Meister für eine Zeitlang zu, und schauen Sie ihm zu, wie er den Schüler unterweist. Beobachten Sie den Schüler, wie er auf seinen Lehrer hört und seinen Anweisungen folgt. Was nehmen Sie wahr?“ „Jetzt ist es still.“ (S.Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens, 84)

Sie liebte es, in die Disco zu gehen. Wenn ihre Eltern sie abholten, wunderten sie sich jedes Mal: „Wie kannst du es aushalten bei dem Krach?“ Doch sie wusste: Laut ist die Musik nur am Anfang. Schon bald ist das Laute nicht mehr laut. Das Ohr stellt die Lautstärke nach.
Sie liebte es, abends im Bett noch leise Radio zu hören. Zwar hatten ihr die Eltern das verboten, wenn sie am nächsten Tag Schule hatte, doch stellte sie das Radio so leise ein, dass sie fast nichts mehr hörte. Sie wusste: Leise ist die Musik nur am Anfang. Schon bald ist das Leise nicht mehr leise. Noch mehrere Male kann sie das Radio noch leiser stellen, und immer noch hört sie alles genau. Denn das Ohr stellt die Lautstärke nach.

Als wir das erste Mal mit der Behandlung von Tinnitus experimentierten, ließ ich den Probanden auf einer Skala von 0 bis 10 die aktuelle Lautstärke bewerten. Es gelang uns, seinen Tinnitus zu reduzieren.
Den nächsten Probanden ließ ich die Leisheit beurteilen. Der Proband fand diese Vorstellung etwas mühsam, doch wir erreichten, dass der Tinnitus völlig verschwand.
Die dritte Probandin ließen wir nach jeder Intervention auf einer Stilleskala den Grad der bereits erreichten Stille skalieren. Das Arbeiten wurde nochmals leichter. Auch diese Probandin verlor ihren Tinnitus ganz.

Einer Therapeutin, die zum Thema nachgefragt hat, habe ich geschrieben:

„Den Tinnitus betreffend denke ich: Erfragen sie, wonach er klingt, z.B. nach einem Bienenkorb, einem hohen elektrischen Ton oder dem Brummen eines Motorfliegers – und machen Sie dann mit der Klientin eine Reise zu einem Ort, wo dieses Geräusch vorkommt und seinen Sinn hat.
Oder lassen Sie die Klientin ein Gerät konstruieren bzw. ein Tier erfinden, das genau dieses Geräusch macht und lassen Sie sie das Gerät oder Tier in allen Einzelheiten beschreiben.
Kommen Sie dann auf Eigenarten und Fähigkeiten des Gerätes oder Tieres zu sprechen, die therapeutisch nützlich sind (Produktions- / Reparaturwerkzeug / Jagdinstinkt, mütterliche Fürsorge, bei Fledermäusen Nutzung des hohen Tones zum Orten von Beute und Artgenossen, bei Delfinen zur Verständigung, bei einer Hundepfeife Signalfunktion).
Sie können Trance auch erzeugen, indem Sie die Frau bitten, sich nur auf den Klang des Tons zu konzentrieren und vor diesem Hintergrund allmählich immer deutlicher Ihre Worte zu bemerken.
Sie können die Trance durch Dissoziation vertiefen, wenn sie suggerieren: ‚Während ein Teil Ihrer Aufmerksamkeit sich ganz auf diesen Ton konzentriert, ist ein anderer Teil mit dem beschäftigt, was ich sage.'“

Viele Grüße,
Stefan Hammel

Frei nach Heisenberg

Als wir das erste Mal mit der Behandlung von Tinnitus experimentierten, ließ ich den Probanden auf einer Skala von 0 bis 10 die aktuelle Lautstärke bewerten. Es gelang uns, seinen Tinnitus zu reduzieren.
Den nächsten Probanden ließ ich die Leisheit beurteilen. Der Proband fand diese Vorstellung etwas mühsam, doch wir erreichten, dass der Tinnitus völlig verschwand.
Die dritte Probandin ließen wir nach jeder Intervention auf einer Stilleskala den Grad der bereits erreichten Stille skalieren. Das Arbeiten wurde nochmals leichter. Auch diese Probandin verlor ihren Tinnitus ganz.

Was war hier Wissenschaft, was Therapie? Die Art der Messung bestimmte das Ergebnis und wurde Teil der Therapie.