Sucht und Sehnsucht – Die DVD…

7865_0Zwei DVDs mit Beiträgen von Bernhard Trenkle, Joachim Galuska, Gunther Schmidt und mir sind bei Auditorium Netzwerk erschienen. Die DVDs unter dem Titel „Sucht und Sehnsucht“ enthalten Workshops und Vorträge anlässlich der Jahrestagung 2014 der Milton-Erickson-Gesellschaft in Bad Kissingen.

Der Verlag beschreibt die Veröffentlichung so:

Die Suchtbehandlung gewinnt in Medizin und Psychotherapie wegen der großen Anzahl der Betroffenen immer mehr Gewicht. Wie wird man süchtig? Was hat Sucht mit Sehnsucht zu tun? Wollen wir scheinbar unerträgliche Gefühle betäuben, oder suchen wir einen direkten Weg in die Transzendenz? Wie können wir als Menschen und als Gesellschaft aus schädlichen Zusammenhängen und Verhaltensweisen aussteigen, die unsere Zukunft zerstören?

Antworten und Impulse bieten folgende Beiträge:

Bernhard Trenkle: Ordeals und andere strategische Techniken für die Suchttherapie (Vortrag) – „Ordeal“-Technik: Der Klient bekommt eine so unangenehme Aufgabe, dass er lieber sein Symptom aufgibt.
Joachim Galuska: Die Vision eines erfüllten Lebens (Vortrag). Angesichts vielfältiger Suchtdynamiken benötigen wir die Fähigkeit zu Selbststeuerung und guter Lebensführung. Wird das Leben in seiner Tiefe gespürt, kann es Erfüllung bieten.
Stefan Hammel: „Breite deine Schwingen aus“ – Befreiendes für die Sehnsucht nach Leben im Sterben (Workshop). Wie können wir Sterbende und ihre Familien in den letzten Lebensstunden palliativ, psychotherapeutisch und spirituell unterstützen?
Gunther Schmidt: Sucht als Such-Kompetenz – Perspektiven für eine Kompetenz-aktivierende Sucht-Therapie (Vortrag). Die Transformation süchtigen Suchens in erfüllendes Sinn-Erleben für sich und andere (Workshop): Suchtverhalten als Ausdruck quasi-automatisierten Trance-Verhaltens mit oft intensiven Dissoziationsphänomenen, das der Erfüllung wichtiger unbewusster Bedürfnisse dient. Mit Interventionen, durch die Such(t)-Rituale und unbewusste Glaubenshaltungen nachhaltig wirksam in bereichernde Alltagserfahrungen transformiert werden können.

3 Vorträge, 2 Workshops, Jahrestagung der Milton-Erickson-Gesellschaft: Hypnotherapie – Sucht, Sehnsucht und Visionen, 27. – 30. März 2014, Bad Kissingen, ca. 515 Min. auf 2 DVDs zum Preis von 19,99 € zzgl. Versandkosten.

Bestellen können Sie die CD bei Auditorium Netzwerk oder bei Stefan Hammel.

Im Dschungel

Ich war im Aufenthaltsbereich der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. Die Stimmung war sehr unruhig. Eine Frau stöhnte, als ob sie eine schwere Last zu tragen – im Sekundentakt, stundenlang. Eine andere Frau schrie unablässig schwer verständliche Worte in den Raum. Ein Mann brüllte Beschimpfungen durch die Gegend. Alles das pausenlos. Wie die Patienten das wohl ertragen? Eben noch hatte ich mich in einem Zimmer mit einer Frau unterhalten, die sich nicht aus ihrem Raum wagte, weil es draußen so wild zuging. Inmitten von all dem Durcheinander saß eine kleine, zierliche Frau, still, vielleicht ein bisschen schüchtern, vielleicht ein bisschen ratlos. Sie lächelte mich freundlich an, und ich lächelte zurück. Ich setzte mich zu ihr. „Stellen Sie sich vor, das ist ein Dschungel. Schauen Sie sich um. Da sind Vögel, die seltsame Schreie von sich geben, Brüllaffen, und ganz viele andere interessante Tiere…“ „Danke, danke, danke… Ich danke Ihnen! Sie haben mir sehr geholfen. Ich danke Ihnen…!“ Sie strahlte mich an und gab der Luft drei Küsse, die in meine Richtung flogen.

Die Stunde der Not

In ihr Gesicht hatten sich tausend Falten gekerbt, die sich strahlenförmig um Mund und Augen zogen. Ihrer Körperfülle wegen bewegte sie sich langsam, das Gesicht von einer Seite zur andern verlagernd, wie ein schwankendes Schiff, das im Wellengang auf und ab wogt. Auch aufgestützt auf den Arm ihrer jungen Begleiterin kam sie nur langsam voran. Längst weit hinter den anderen Senioren der Ausflugsgruppe zurückgeblieben, tauchte sie hinein in alte Erinnerungen und begann zu erzählen:

Für mich haben Arbeit und Mühe früh angefangen. Kaum war ich sieben Jahre alt, starb mein Vater. Meine Mutter musste mit uns sechs Kindern in ihr Heimatdorf zurückkehren. Wie hätte sie uns ernähren sollen in der damaligen Zeit? Sie arbeitete bei den Bauern, doch für sieben hungrige Mäuler hat’s nicht gereicht. Wir Kinder mussten auf mehrere Familien verteilt werden. Bekommen hat uns, wer am wenigsten von der Gemeinde verlangte. Ich kam mit meinem sechsjährigen Brunder Kurt zu einer entfernten Verwandten. Wir mussten in Hof und Garten tüchtig mithelfen. An Spielen war nicht zu denken; Kaum ließ uns die Tante Zeit für die Schularbeiten. In unserem kleinen Dorf wurden alle acht Klassen in einem Raum unterrichtet. So war ich wenigstens morgens mit meinem Bruder zusammen, an dem ich sehr hing. Ein Musterknabe war er nicht, der Kurt. Oft hatte ich seinetwegen Händel mit den Kindern. Er brachte sich immer wieder in Schwierigkeiten und ich musste ihn vor den Größeren retten. Als ich neun war und er acht, plünderte er mit seinen Freunden einen Kirschbaum, der ein Stück außerhalb des Dorfes stand. Unglücklicherweise kam der Besitzer dazu. Natürlich rannten die Buben davon, doch erkannte der Bauer sie alle und meldete sie dem Lehrer, der die Bestrafung vorzunehmen hatte. Das war so üblich auf dem Dorf. Am nächsten Morgen ruft der Lehrer die Missetäter mit Namen auf. Einer nach dem anderen erhält eine tüchtige Tracht Prügel. Mein Bruder ist der letzte. Mit wachsender Sorge sehe ich, dass er gleich an die Reihe kommt. Was tun? Kann ich zulassen, dass mein Kurt vor aller Augen verprügelt wird? Nein, lieber will ich selbst verprügelt werden, als solche Schmach mitanzusehen. Aber wie den Lehrer von seinem Vorhaben abbringen? Schon liegt Kurt auf dem Knie des Lehrers, schon holt dieser aus zum ersten Schlag, als ich vorspringe. „Nicht!“, schreie ich, so laut ich kann, doch der Lehrer beachtet mich nicht. Der erste Hieb sitzt. Da beiße ich so fest ich kann in das herausgestreckte Hinterteil des Lehrers. Mit einem Fluch lässt er von meinem Bruder ab, dreht sich nach mir um und hebt wütend die Hand. Als er die Verzweiflung in meinen Augen sieht, lässt er sie sinken. Ich nehme all meinen Mut zusammen. „Bitte, Herr Lehrer, lassen Sie meinen Bruder“, bringe ich mühsam zusammen. „Sie dürfen den Buben nicht schlagen. Wir haben doch keinen Vater.“ Dann breche ich in Tränen aus. „Setzt euch beide“, sagt der Lehrer. Von dem Tag an hat er keinen von uns mehr angerührt. Noch lange riefen mir die Kinder „Arschbeißern“ nach, doch was hat’s mich gekümmert. Das Leben ging weiter. Die Sorgen haben nicht aufgehört. Vier Kinder hab ich großgezogen. Zwei Söhne sind im Krieg geblieben. Vor fünfzehn Jahren starb mein Mann. Jetzt bin ich 78, und es ist gut so. Um keinen Preis der Welt möchte ich von vorne beginnen.“

Die Geschichte verdanke ich meiner Tante Christine Schäfer aus Auenwald, die sie vor über 50 Jahren gehört und aufgeschrieben hat. Die berichteten Erlebnisse haben sich um 1888 abgespielt.

Pflügt aufs Neue…

Im November und Dezember bin ich krank gewesen und konnte teilweise gar nicht, teils nur eingeschränkt arbeiten. Darum auch keine Blogs… Nun bin ich zurück und wünsche euch allen ein möglichst gutes und vor allem gesundes Jahr, in dem ihr alles, was euch am Leben hindern will, zum Guten wendet! Auf dass himmlischer Segen, irdisches Leben und Weisheit, die beides vereint, sich in eurem Leben verbindet!

Vielleicht darf ich mit euch meine Gedanken teilen, die ich in der Klinik beim Gottesdienst zum neuen Jahr weitergegeben habe? Das bezog sich auf einen Satz des Propheten Jeremia, der gesagt hat: „Pflügt aufs Neue und sät nicht unter die Dornen!“

Ein neues Jahr liegt vor uns wie ein Acker. Ungepflügt und unbestellt darauf wartet es darauf, beackert zu werden. Unsere Aufgabe wird es sein, die vor uns liegende Zeit zu bestellen wie ein Feld, so dass sie Früchte trägt – Früchte des Erfolgs, des Glücks, der Liebe, Früchte einer erfüllten Zeit bzw. eines gelingenden Lebens. Unsere Aufgabe wird es also sein, die Scholle zu wenden, unsere Saat zu säen und die Ernte einzubringen. Es gibt wohl viele ganz verschiedenen Stile, so einen Acker zu bestellen. Man kann ihn tiefer oder flacher pflügen, im Herbst oder Winter oder Frühjahr, mit vielen oder wenigen Pflugscharen darüber fahren oder ihn mit ganz anders geformten modernen Gerätschaften bearbeiten. Wer den Fortschritt ablehnt, muss einen Ochsen anschirren oder gar sich selber vorspannen, wobei entsprechend leichtes Gerät zu empfehlen wäre. Man kann natürlich auch hingehen und sagen: Das letzte Jahr hat’s mir den Raps und die Gerste verhagelt. Wer weiß, ob sich die Arbeit lohnt. Vielleicht hagelt es ja wieder, oder es verregnet mir die Ernte. Ich pflüge dies’ Jahr einmal nicht. Ich säe die Frucht gleich in die Disteln und Dornen und was dann aufgeht, das ernte ich dann eben.
Würden Sie das so machen? Aber nein, bestimmt nicht. Wer würde denn so etwas tun? „Pflüget ein Neues und säet nicht in die Dornen“ lautet ein Rat aus der Bibel, aus dem Prophetenbuch Jeremia. Aber sagen Sie mir, wer wäre denn so doof, ein Feld zu bestellen und nicht zu pflügen und die Saat gleich auf die Disteln und Quecken zu streuen? Man weiß es nie. Menschen nehmen auch anderes Unkraut ins neue Jahr und säen Neues darüber, ohne das alte erst einmal umzupflügen. Den Streit und die Verletzungen vom letzten Jahr  lassen sie wachsen, denn das noch einmal umzupflügen ist harte Arbeit, und wer weiß, ob es sich lohnt. So säen sie all ihre Bemühungen um Gerechtigkeit und Liebe und liebevolles Miteinander auf eine verletzte Beziehung, in den Schmerz und die Kränkung hinein. Immerhin, sie fahren die Saat noch aus. Es gibt auch Menschen, die einen solchen Acker, der sie einmal enttäuscht hat, überhaupt nicht mehr bestellen. Das Unkraut des Schweigens und Nicht-mehr-grüßens wuchert immer über einer Beziehung, und je höher es wuchert, desto unwirtschaftlicher scheint es, darauf noch einmal etwas zu säen. Mit einem Acker geht man kaum so um, aber mit anderen Menschen verfahren viele so. Man lässt das alte Unkraut wuchern, so dass nichts Neues wachsen kann. Klar scheint mir: Um zu gedeihen, braucht Liebe einen vorbereiteten Boden. Kränkungen müssen aufgehoben und im Gespräch zum Guten gewendet werden. Harte Positionen müssen gelockert werden. All das Schmollen und den Trotz muss man selber umwenden, damit auf seiner Rückseite etwas Neues gedeihen kann. Das kann weh tun, noch einmal spürt man die Verletzung. Aber Das Schweigen muss aufgebrochen werden. Wer Recht hat oder Unrecht ist ja gar keine Frage, im Verhältnis zu dem Leiden, was das stolze oder gekränkte Schweigen anrichtet. Was zählt ist, was heilt. Also geht es doch darum, ob man sich in die Position des anderen hineinversetzen kann, und ob man es schafft, das in irgendwelche geeignete Worte zu fassen. Worte des Bedauerns stehen nicht am Anfang, es ist schon gut, wenn sie am Ende möglich werden. Zum Bereiten eines guten Bodens gehört sicher auch, dass man sich im Stillen mit sich selbst auseinandersetzt. Was war gelungen, was ist mir missraten in der vergangenen Zeit? Wie kann es beim nächsten Mal besser werden?
Diese Art von Arbeit ist hart, und der Ertrag ist so unsicher wie jede Ernte. Und trotzdem: Wer seine Liebe auf fruchtbaren Boden fallen lassen will, muss den harten Boden vergangener Enttäuschungen neu um brechen und von neuem seine Saat ausstreuen. Also: „Pflügt aufs Neue, und sät nicht unter die Dornen!“

 

Grüßen Sie Ihr Traum-Ich!

In der Psychiatrie erzählte eine Frau von ihrem Kummer, dass sie aufgrund eines richterlichen Beschlusses nun bis zu sechs Wochen hinter den Türen der Psychiatrie verbringen müsse. Sie teilte mit, sie habe gegen das Urteil Einspruch erhoben. „Ich habe dem Arzt gesagt: ‚Ich will meine Träume behalten. Ich lebe seit zwanzig Jahren damit und bin immer zurechtgekommen.‘ Jetzt wollen die mich hier einsperren. Sagen Sie: Ist das gerecht?“ Wir sprachen eine Weile miteinander. Es stellte sich heraus, dass sie mit intensiven und anhaltenden Halluzinationen lebte, die sie von der Realität anderer Menschen nicht unterscheiden konnte – oder vielleicht auch nicht wollte. Meistens liebte sie dieses Leben in Träumen, manchmal allerdings wurde daraus auch eine schier unentrinnbare Alptraumwelt. „Vor zwanzig Jahren… wie alt waren Sie damals?“ „Achtunddreißig.“ „Was war denn in dieser Zeit?“ „Mein Mann hatte sich von mir getrennt. Es war so furchtbar. Es war die Hölle.“
„Und dann haben Sie diese Träume gefunden als eine Welt, in der es Ihnen besser geht. Kann das sein?“ „Ja, in meiner Welt ist es schöner. Aber deswegen bin ich doch nicht verrückt…?“ „Die Ärzte sehen das offenbar anders als sie. Die haben eben ihre Welt, und in ihrer Welt nennen sie das eine Psychose. Darf ich Ihnen erklären, wie ich das sehe?“ „Ja, gerne.“
„Ich denke, Sie haben eine besondere Begabung entwickelt. Sie haben die Begabung entwickelt, die Wirklichkeit, wenn sie zu schlimm ist, um sie auszuhalten, mit Träumen zu überdecken, die schön sind, und das so intensiv, dass Sie die schlimme Wirklichkeit gar nicht mehr zu bemerken brauchen. Man kann sagen, Sie haben gelernt, Nachtträume am Tag zu haben und sie auf Dauer zu stellen. Und wie man bei Nachtträumen gar nicht bemerkt, dass sie nicht die Tagwirklichkeit ist, weil sie so wirklich wirken, genauso ist es auch bei Ihren auf Dauer und Tagbetrieb gestellten Nachtträumen. Ab und zu allerdings schwappt etwas Schlimmes aus der wirklichen Welt in Ihre Traumwelt hinein, und dann wird daraus Ihre Alptraumwelt. Die gute Absicht Ihrer Träume ist also, die unangenehmen Seiten der Wirklichkeit von Ihnen fernzuhalten. Nur ab und zu verselbständigt sich die Traumwelt, und wie bei nächtlichen Alpträumen merken Sie das erst hinterher, dass es ein Traum war.“
„Diesmal bin ich freiwillig in die Psychiatrie gegangen und weiß auch, wie ich hier her gekommen bin. Das letzte Mal hat mich die Polizei gebracht, aber daran habe ich überhaupt keine Erinnerung.“ „Wie das bei Träumen so ist, nicht wahr… man erinnert sich oft nicht daran, was war, während man geschlafen hat.“ „Das stimmt.“
„Ich möchte, dass Sie Ihre schöne Welt behalten können und Ihnen helfen, dass Sie hier rauskommen und nicht wieder hereinkommen. Darf ich Ihnen dazu etwas sagen?“ „Gerne.“ „Sagen Sie bitte Ihrem Traum-Ich einen schönen Gruß: Es darf gerne weiter gut für Sie sorgen. Wir wollen seine Arbeit nur so optimieren, dass Sie hier möglichst bald herauskommen und nicht wieder hereinkommen. Das ist Ihrem Traum-Ich doch sicher recht, oder?“ „Natürlich.“
„Sehen Sie, wenn Ihr Traum-Ich so ausschließlich da ist, dass scheinbar nur Ihre Träume da sind, kann es sein, dass Sie Dinge sagen, die die Pfleger und Ärzte, den Richter oder auch andere Leute beunruhigen, weil das nicht zu deren Wirklichkeit gehört und die sich Sorgen um sie machen. Dann wollen sie Sie zur Sicherheit noch eine Weile dabehalten. Damit Sie das Personal und den Richter nicht beunruhigen, ist es wichtig, dass Sie einerseits Ihr Traum-Ich in der Weise behalten, die Sie brauchen, damit es Ihnen gut geht, andererseits immer genügend von der Wirklichkeit, die für alle gilt, mitbekommen, so dass Sie diesen Leuten nicht mit Ihrem Traum-Ich, sondern mit der Wirklichkeit antworten, mit der die etwas anfangen können. Verstehen Sie das?“ „Ja, natürlich.“
„Sagen Sie doch dem Teil Ihrer Seele, der weiß, was für alle wirklich ist, einen schönen Gruß, dass er immer genügend von der ‚Wirklichkeit-für-alle‘ zur Verfügung stellt, damit Sie den anderen in deren Wirklichkeit antworten können, damit die beruhigt sind und Sie hier nicht einsperren. Ihr Traum-Ich kann gerne parallel die Träume weiterproduzieren, die Sie haben möchten, um glücklich zu sein, nur eben auf eine Art, damit immer genügend Wirklichkeit für den Umgang mit den anderen Leuten zur Verfügung steht. Ist das in Ordnung?“ „Ja, das ist in Ordnung.“
„Es könnte zum Beispiel so sein, dass der Teil von Ihnen, der gut weiß, was für alle wirklich ist, Ihnen die Traumwelt bei Bedarf herunterdimmt und mehr Wirklichkeit einblendet, wie mit einem Schiebeschalter, so, wie es gerade gebraucht wird, oder dass Sie auf eine andere gute, sichere Art beides gleichzeitig haben können.“
„Dann kann der Teil, der für die Wirklichkeit zuständig ist, auch beobachten, wann aus Ihrer Traumwelt eine Alptraumwelt wird, die sich gar nicht lohnt und Ihnen immer bei den Vorzeichen einer solchen Alptraumwelt stattdessen die Wirklichkeit einblenden. Können Sie derjenigen, die in Ihnen gut über die Wirklichkeit aller Leute Bescheid weiß, einen schönen Gruß ausrichten, dass sie das für Sie macht?“ „Das mache ich!“
Acht Tage später begegnete ich der Frau wieder. „Darf ich Ihnen einmal etwas erzählen? Das ist ganz seltsam“, sagte sie. „So etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nie passiert. Ich schaue dort hinüber, und dort steht ein schöner Blumenstrauß, und während ich ihn anschaue, verschwindet er und ist einfach weg.“
„Das ist schön“, sagte ich. „Das heißt ja, dass Ihr Traumerleben und diejenige in Ihnen, die weiß, was für alle wirklich ist, gut zugehört haben und dass sie das, was wir besprochen haben, für Sie so umsetzen. Sagen Sie denen einen Gruß, dass sie das, was sie schon so gut machen, immer besser machen, so dass Sie außer der Traumwelt immer genügend Wirklichkeitswelt zur Verfügung haben für das, was Sie brauchen und für die Menschen, denen Sie begegnen.“
Nochmals vier Tage später sah ich die Frau wieder. Sie berichtete, der Arzt habe ihr heute gesagt, sie könne, wenn sie wolle, die Klinik verlassen, und das werde sie jetzt tun. Ich traf den Arzt, der für ihre Beurteilung zuständig war und fragte ihn nach ihr. Er sagte, sie habe sich in den letzten Tagen so positiv entwickelt, dass er zwar befürworte, dass sie sicherheitshalber noch für eine kurze Zeit bleibe, aber die Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung nicht mehr gegeben wären. Er habe die für den Nachmittag angesetzte richterliche Anhörung nach Rücksprache mit ihr abgesagt und ihr den Verbleib in der Klinik freigestellt. Die Frau verließ die Klinik am selben Tag.

Durchhalten

Ich möchte gern eine Geschichte erzählen, die vom Durchhandeln handelt, und davon, zusammenzuhalten, zu seinen Werten und zu seinem Selbstwertgefühl zu stehen. Ich weiß noch nicht genau, wie ich sie therapeutisch nutzen kann. Ich erzähle sie hier, weil sie mich berührt.

Im Westjordanland, etwa zehn Kilometer südwestlich von Bethlehem, haben wir Familie Nasser besucht. Die Nassers sind eine christlich-palästinensische Bauernfamilie, die ihren kleinen Hof auf der Anhöhe zu einem Begegnungszentrum gemacht haben für Palästinenser, Israleis und Menschen aus aller Welt, die Frieden suchen. Am Eingangstor des kleinen Landwirtschaftsbetriebes liegt ein Stein, auf den sie geschrieben haben: „We refuse to be enemies. Wir weigern uns, Feinde zu sein.“

Was es mit diesem Satz auf sich hat, haben wir im Gespräch mit dem Besitzer des Betriebs erfahren. „Mein Großvater“, so erzählte er, hat dieses Land im Jahr 1917 von der damaligen osmanischen Besatzungsmacht gekauft. Dann hat er etwas getan, was für die damalige Zeit und noch lange danach sehr ungewöhnlich, ja, geradezu verrückt war. Er hat sich Papiere über den Grundbesitz ausstellen lassen und hat Steuern gezahlt. Jahr für Jahr hat unsere Familie Steuern gezahlt für dieses Papier, das sonst keiner hatte.“ Bis dahin hatten die Bauern einfach dort gelebt, wo ihre Familien immer gelebt hatten; durch mündliche Überlieferung und durch Zeugen wusste jedes Dorf und jede Familie, wo das Land der einen anfing und wo das Land der anderen aufhörte. Warum sollte man Land von einer Besatzungsmacht kaufen, die erst kürzlich gekommen war und vielleicht schon bald von den nächsten Besatzern abgelöst werden würde? „Erst haben wir der osmanischen Besatzung Steuern gezahblt, dann der jordanischen, danach den Engländern und schließlich den Israelis. Dann hat der israelische Staat angefangen ringsumher Siedlungen zu bauen. Eines Tages kamen Soldaten und haben uns gesagt, wir sollten hier verschwinden. Wir sagten, das Land gehört uns. Sie wollten das nicht glauben. Wir haben dann den israleischen Behörden unsere Papiere gezeigt. Wir konnten belegen, dass wir das Land gekauft hatten und lückenlos unsere Steuern bezahlt hatten – an die Osmanen, an die Jordanier, an die Engländer und auch an die Israelis. Darau haben sie gesagt: „Die Papiere sind gefälscht.“ Sie haben von uns verlangt, einen israelischen Notar auf unsere Kosten nach Istanbul und London zu schicken, um in den Archiven dort nachzuschauen, ob unsere Vorfahren das Land tatsächlich gekauft haben. Der Notar hat die Belege tatsächlich gefunden. Als die israelische Seite bemerkt hat, dass sie den Prozess nicht gewinnen können, haben sie ihn verschleppt, so dass er in der Schwebe hängt und nie zu Ende gebracht wird. Dann haben sie Bulldozer geschickt, die unsere Zufahrtsstraße verschüttet haben, damit wir uns nicht mehr versorgen können. Wir haben uns dann einen anderen Zugangsweg freigeschaufelt. Sie haben den Palästinensern hier in Palästina verboten, Strom zu haben und irgendetwas zu bauen. Sie haben uns dann Abrissverfügungen geschickt für die Gebäude, die hier stehen. Wir haben gesagt, die sind damals rechtmäßig gebaut worden. Ich fragte einen von ihnen: ‚Gilt für mich das gleiche Recht, wie für einen Israeli, der hier wohnt?‘ Er sagte: ‚Ja.‘ Ich fragte: ‚Dort drüben sind Häuser, die israelische Siedler ohne Genehmigung gebaut haben. Warum schickt ihr dorthin keine Abrissgenehmigung?‘ Der Mann sagte: ‚Das geht Sie nichts an.‘ Gegen den Abriss unseres Wohnhauses haben wir prozessiert. Als wir fertig waren und die Genehmigung zurückgenommen war, haben sie uns einfach sechs neue Abrissverfügungen geschickt. Die Zelte und der Verschlag für die Hühner, alles soll angeblich ein Gebäude sein und darum abgerissen sein. Die Hühner haben wir jetzt in einen Wohnwagen gebracht. Ein Wohnwagen ist ja kein Gebäude. Oft kreisen Hubschrauber über uns, um zu beobachten, was wir machen. Sie haben uns immer neue Abrissverfügungen geschickt. Einmal waren wir so kurz davor, dass wir uns sicher waren, dass nächste Woche die Bulldozer unser Haus abreißen. Wir haben das in E-mails ein paar Freunden in Europa mitgeteilt. Gar nicht systematisch. Wir haben gar nicht gedacht, dass wir etwas dagegen ausrichten können. Aber die haben dann offenbar so viele Briefe an die Regierung geschickt, dass dann nichts passiert ist. Auch im Moment haben wir einen Prozess gegen solche Verfügungen am laufen. Schauen Sie, wir haben uns jetzt Höhlen in den Kalkstein gebaut. Eine Höhle ist ja kein Gebäude. Und der Strom… ein Deutscher, der hier war, hat gesagt, ich organisiere Ihnen das, dass Sie Solarzellen bekommen. Ich habe das nicht geglaubt. Aber irgendwann kamen Leute und haben uns hier Solarzellen installiert. So haben wir auch Licht in unseren Höhlen. Seit 1991 haben wir 150.000 Dollar Prozesskosten, um für ein Land zu kämpfen, das uns rechtmäßig gehört, das wir gekauft haben und für das wir Steuern gezahlt haben. Wir haben auf unserem Land 250 Olivenbäume gepflanzt. Wenn man sein Land behalten will, ist es gut, etwas darauf zu pflanzen. Dann kann niemand sagen: ‚Das Land gehört niemand, es wird ja nicht genutzt.‘ Eines Nachts sind Siedler aus der Nachbarschaft gekommen und haben die 250 Olivenbäume alle abgesägt. Das hat uns sehr getroffen. Nicht nur wegen des wirtschaftlichen Verlusts. Olivenbäume wachsen sehr langsam. Für uns ist ein Olivenbaum auch ein Zeichen für Hoffnung, für den Glauben an die Zukunft. Es ist ein Symbol. Wir waren sehr niedergeschlagen. Dann hat eine jüdische Menschenrechtsorganisation in Europa von dem Fall gehört. Sie haben uns geschrieben, dass sie uns die Bäume ersetzen wollen. Ein paar Wochen später sind freiwillige Helfer aus Europa angereist und haben 250 junge Olivenbäume bei uns gepflanzt. Einige Zeit später haben wir einen anonymen Anruf bekomme. Ein Mann hat uns 1 Million Dollar für das Land geboten, dann zwei Millionen. Wir haben gesagt: ‚Das ist das Land, das unser Großvater uns gekauft hat und auf dem wir groß geworden sind. Es ist das Land unserer Famile. Wir leben hier. Es ist nicht zu verkaufen.‘ Einige Zeit später haben wir wieder einen Anruf bekommen. Sie wollten uns 10 Millionen Dollar bieten, dann zwanzig. Schließlich haben sie ins Telefon gerufen: ‚Dann sagen Sie uns doch einfach, wieviel sie wollen! Wir zahlen Ihnen auch das Ticket nach Amerika, und damit ist es dann gut!‘ Wir sind nicht darauf eingegangen. Wir wissen nicht, wie lange wir hier bleiben können. Wir prozessieren jetzt seit 1991, und es ist kein Ende in Sicht.“ Sie sagen auch: „Nicht die Israelis sind schlecht. Wir haben viele israelische Freunde. Schlecht ist das System, das so mit uns umgeht.“

Der Hügel, auf dem diese Familie lebt, gehört zu einer Bergkette, auf dem die israelische Regierung sogenannte jüdische Siedlungen errichtet, das sind Trabantenstädte rund um Jerusalen, die auf staatsfremdem Gebiet errichtet werden, wobei stetig weitere Palästinensergebiete annektiert werden. Palästina wird dadurch zu einem Löcherkäse, auf dem kein Staatsgebiet mehr errichtet werden kann, weil er von jüdischen Enklaven durchlöchert ist. Die Siedlungen werden zuerst einzeln, dann (jeweils mit einer größeren Umbaumaßnahme) als ganze Hügelkette von einer zehn Meter hohen Mauer umfriedet. Das Grundeigentum dieser Familie ist auf einem Hügel einer solchen Kette, der mit einer solchen Mauer und entsprechenden Straßen, die nur von jüdischen Siedlern benutzt werden dürfen, aus Palästina herausgeschnitten werden soll. Vorestern wurde in den Nachrichten berichtet, dass israelische Behörden solche von deutschen Firmen gebauten Solaranlagen abreißen wollen.

Übrigens: Berichte, Fotos und Videos mit Interviews und Dokumentationen zum Leben dieser Familie findet ihr hier.

 

 

Romeo und Julia in der Mediation

Vor drei Wochen war ich auf dem Festival für Gewaltfreie Kommunikation in Bialobrzegy bei Warschau. Dort habe ich unter anderem Ike Lasater kennengelernt, einen bekannten Trainer für Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg aus den USA.
Ike hat einmal eine Mediation zwischen Romeo und Julia sowie ihren jeweiligen Familien durchgeführt – das Video seiner sehenswerten Vermittlungstätigkeit könnt ihr hier sehen…
Viel Spaß beim Zuschauen!


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Vom Spinnen des Garns

Bloggen hat ja etwas damit zu tun, Fäden, die zunächst gar nichts miteinander zu tun haben, zu einem Netz zu verspinnen… Geschichtenerzählen auch… Therapie, wie ich meine, auch… Hier ist ein Beitrag, den meine Cousine in ihrem Blog „Kathy’s food trip“ geschrieben hat… vielleicht kommt euch das eine oder andere dain bekannt vor… schaut doch mal rein!

Der Pegasus

Ein Architekt kam in Beratung, weil er sich seit der Trennung von seiner Frau so niedergeschlagen und kraftlos fühlte, dass es ihm nicht mehr gelang, Angebote in angemessener Zeit zu bearbeiten und Aufträge erfolgreich zu Ende zu bringen. Die Arbeit dauerte unverhältnismäßig lang. Er machte sich Vorwürfe wegen seiner uneffektiven Arbeitsweise, die sich neben dem unmittelbaren Zeitverlust auch ungünstig auf die Arbeitshaltung seiner Mitarbeiter und Partner auswirkte.

„Haben Sie Hobbies?“, fragte ich ihn. „Ich habe eine Reitbeteiligung. Aber ich war schon seit über einem halben Jahr nicht mehr bei dem Pferd.“ „Könnten Sie sich vorstellen, das Pferd probeweise einmal wieder zu besuchen und vielleicht sogar einmal auszureiten?“ „Wenn ich bei meiner derzeitigen Arbeitsweise zusätzlich auch noch reiten gehe, dann komme ich zu überhaupt nichts mehr. Ich bin ja jetzt schon so langsam.“ „Da können Sie recht haben. Es könnte aber auch sein: Wenn Sie einen Abend in der Woche für das Pferd verwenden, haben Sie möglicherweise die ganze nächste Woche zehn Prozent mehr Lebensfreude. Das heißt, Sie haben zehn Prozent mehr Energie und können zehn Prozent mehr leisten. Das wäre ein Gewinn von mehr als zwei Stunden Arbeitszeit. Vielleicht ist es ja auch nicht so, aber vielleicht sind es auch zwanzig Prozent. Wer kann das wissen? Vielleicht ist der Versuch eine Experimentierwoche wert? Kann ich Sie einladen, das einmal auszuprobieren?“ Der Mann ließ sich darauf ein.

„Der Wallach hat mich zwar mit dem A… nicht mehr angucken wollen“, berichtete er in der nächsten Sitzung, „aber dann hat er mir vergeben, und wir sind ausgeritten. Ansonsten habe ich zwei wichtige Angebote fertig gemacht und habe insgesamt mehr fertig gebracht als in den ganzen letzten Wochen.“

Aus: Stefan Hammel, Handbuch der therapeutischen Utilisation

Die kleine Quelle

Diese schöne Geschichte stammt von meinem Kollegen Erwin Reichl… ich freue mich, dass ich sie hier veröffentlichen darf!

Es war einmal eine kleine Quelle in einer öden, steinigen Wüste.Sie tat nichts anderes als still und leise vor sich hin zu sprudeln, dies tagein, tagaus,jahrein und jahraus.

Eines Tages dachte die kleine Quelle über sich nach und sagte zu sich: „Eigentlich ist mein Leben ziemlich eintönig. Wenn ich ein Bach wäre, dann könnte ich etwas von der Welt sehen und die trockene Wüste mit meinem Wasser zum Blühen bringen.“

Als die kleine Quelle so ihren Gedanken nachhing, sprudelte sie immer munterer und ihr Tatendrang wurde immer größer. Freunde und Nachbarn bemerkten die Veränderung und wurden neugierig. Zuerst machte ein Sperling, dann eine Schildkröte und zuletzt ein Schakal seine Aufwartung. „Ei, was ist plötzlich los mit dir“, fragten sie neugierig: „Du bist ja so quirlig und aufgeregt.“ „Stimmt; antwortete die kleine Quelle: „Ich habe große Pläne: wenn ich erst einmal ein Bach geworden bin, dann…………..!“

„Dein Plan gefällt uns“, meinten die Tiere, „und wir wollen dir gerne helfen.“ Schon schwirrte der Sperling in die Luft und hielt Ausschau nach einem geeigneten Weg, der Schakal grub mit seinen kräftigen Vorderläufen ein Bachbett und die Schildkröte trug auf ihrem starken Rücken das Geröll weg.

Also machte sich die Quelle auf den Weg und kam recht gut voran. Bald sprossen Gräser aus dem Boden und später gesellten sich auch Blumen dazu. Aus der kleinen Quelle war inzwischen ein munterer Bach geworden, der eine Oase mit frischem Wasser versorgte. Händlerkarawanen und Pilger machen hier Rast, um sich für die Weiterreise zu stärken. An den Lagerfeuern wird noch heute von der kleinen Quelle erzählt, die sich einst so beherzt auf den Weg machte.