Vom Aussterben der Drachentöter

Es war einmal ein Drachen, der lebte in einer Höhle und passte auf seinen Schatz auf.
Was ihn aber sehr nervte, war, dass alle Naslang Ritter vorbeikamen, die ihn töten und ihm seinen Schatz rauben wollten. Er musste sie alle umbringen Das war ihm lästig und hinderte ihn oftmals am schlafen. Die Leute des Landes wiederum litten darunter, dass er in den warmen Sommermonaten gerne gerne ausgedehnte Spaziergänge unternahm. Manchmal, wenn er einen Insektenschwarm in die Nase bekam, musste er niesen, und immer wieder kam es vor, dass er den Bauern mit seinem Feueratem die Ernte anzündete. Der König des Landes hatte daher demjenigen den Schatz des Drachens versprochen, dem es gelänge, das Untier zu töten. Immer wieder kamen mutige Männer vor den König, die versprachen, dem Drachen den Garaus zu machen. Der eine zog mit einer Lanze los, der andere mit dem Schwert, der dritte mit Feuer. Doch keiner von ihnen kehrte je zurück.
Als schließlich alle Mutigen im Land vom Drachen vernichtet worden waren und nichts sich zum Besseren gewendet hatte, fiel eine Schwermut auf den König. Noch einmal schickte er seine Herolde aus mit der Frage: „Hat denn keiner im Land eine Idee, wie wir dem Übel aus der Drachenhöhle beikommen können?“
Die Hoffnung hatte ihn beinahe gänzlich verlassen, da trat vor den König ein Junge, der sagte: „Ich gehe in die Höhle des Drachen!“
Der König zögerte. Was konnte dieser Junge schon ausrichten? Er war ja, wie es schien, noch nicht einmal bewaffnet. Konnte man es verantworten, ihn ziehen zu lassen, um wie die anderen vom Drachen vertilgt zu werden? Der Junge bat aber sehr darum, gehen zu dürfen, und da der König keinen Rat wusste, was er sonst tun sollte, ließ er ihn ziehen.
An der Höhle angekommen, rief der Junge in die Höhle hinein: „Drache, ich muss dich etwas fragen!“ „Was willst du mich denn fragen?“ donnerte der Drache zurück. „Warum verbrennst du unsere Felder, so dass wir hungern müssen und tötest alle unsere mutigen Ritter?“ „Sind das eure Felder? Das hatte ich gar nicht bemerkt. Das tut mir leid. Aber die Ritter muss ich töten, weil sie mich belästigen und am Schlafen hindern.“ „Wir könnten es so machen: Könntest du vielleicht aufpassen, dass du unsere Ernte nicht anzündest, und ich sorge dafür, dass dich keine Ritter mehr beim Schlafen stören?“ „Kein Problem, ich kann ja auch woanders spazieren gehen. Würdest du mir dafür tatsächlich die Ritter vom Leib halten?“ „Das würde ich für dich tun.“ „Dann könnte ich endlich einmal wieder durchschlafen. Das ist ja traumhaft! Wie kann ich dir das danken?“ „Könnte ich vielleicht von deinem Schatz etwas abhaben?“ „Klar doch, ich hab ja genug. Wir können ihn uns teilen.“

Verspätung

Auch diese kleine Episode stammt von der Geschichtenerzählerin Bettina Betz… 🙂

Sie war Studentin, zwanzig Jahre alt und hatte einen Freund. Er studierte an derselben Universität, war genauso groß und genauso alt wie sie. Und sie hatten noch etwas gemeinsam: Beide hatten sie ein Problem mit dem Zeitmanagement. Sie kam meistens mit hängender Zunge gerade noch rechtzeitig, er kam fast immer zu spät.
Einmal hatten sie sich an einem Bahnhof in der Nähe seines Wohnortes verabredet. Er wollte sie am Bahnsteig abholen. Ihr Zug sollte auf Gleis eins ankommen. Auf den letzten fünfhundert Metern bis dorthin gab es parallel zu den Schienen einen Fußweg, der den Bahnhof mit dem Parkplatz verband.
Als nun ihr Zug langsam auf den Bahnhof zurollte, schaute sie aus dem Fenster. Da entdeckte sie auf dem Weg ihren Freund. Er rannte. Er rannte so schnell er konnte. Er war also wieder einmal viel zu spät von zu Hause losgefahren. Der Zug war schneller als er, er würde es nicht schaffen, rechtzeitig am Bahnsteig zu sein. Aber er gab nicht auf.
Später kann sie sich noch genau an die Gefühle erinnern, die sie in diesem Moment hatte: Sie genoss den Anblick dieses Mannes, der da rannte, ihretwegen. Sie sah sein konzentriertes Gesicht, seine gleichmäßige Bewegung. Und sie freute sich. Sie freute sich auf etwas, das sie damals schon lange einmal hatte tun wollen: Sie würde Gelegenheit haben, ihm entgegenzulaufen.
Das tat sie dann. Nachdem sie ausgestiegen war und den Bahnhof in Richtung Parkplatz verlassen hatte, sah sie ihn von Weitem kommen. Sie ließ ihren Rucksack ins Gebüsch fallen und setzte sich in Bewegung. Sie fühlte sich leicht, glaubte fast, zu fliegen. Kurz bevor sie mit ihrem Freund zusammengeprallt wäre, drosselte sie etwas ihr Tempo, musste lachen, als sie sein überraschtes Gesicht sah, und warf sich ihm in die Arme.

Jemand hat einmal gesagt: „Wir schätzen unsere Freunde für ihre Stärken, aber wir lieben sie für ihre Schwächen.“

Pflügt aufs Neue…

Im November und Dezember bin ich krank gewesen und konnte teilweise gar nicht, teils nur eingeschränkt arbeiten. Darum auch keine Blogs… Nun bin ich zurück und wünsche euch allen ein möglichst gutes und vor allem gesundes Jahr, in dem ihr alles, was euch am Leben hindern will, zum Guten wendet! Auf dass himmlischer Segen, irdisches Leben und Weisheit, die beides vereint, sich in eurem Leben verbindet!

Vielleicht darf ich mit euch meine Gedanken teilen, die ich in der Klinik beim Gottesdienst zum neuen Jahr weitergegeben habe? Das bezog sich auf einen Satz des Propheten Jeremia, der gesagt hat: „Pflügt aufs Neue und sät nicht unter die Dornen!“

Ein neues Jahr liegt vor uns wie ein Acker. Ungepflügt und unbestellt darauf wartet es darauf, beackert zu werden. Unsere Aufgabe wird es sein, die vor uns liegende Zeit zu bestellen wie ein Feld, so dass sie Früchte trägt – Früchte des Erfolgs, des Glücks, der Liebe, Früchte einer erfüllten Zeit bzw. eines gelingenden Lebens. Unsere Aufgabe wird es also sein, die Scholle zu wenden, unsere Saat zu säen und die Ernte einzubringen. Es gibt wohl viele ganz verschiedenen Stile, so einen Acker zu bestellen. Man kann ihn tiefer oder flacher pflügen, im Herbst oder Winter oder Frühjahr, mit vielen oder wenigen Pflugscharen darüber fahren oder ihn mit ganz anders geformten modernen Gerätschaften bearbeiten. Wer den Fortschritt ablehnt, muss einen Ochsen anschirren oder gar sich selber vorspannen, wobei entsprechend leichtes Gerät zu empfehlen wäre. Man kann natürlich auch hingehen und sagen: Das letzte Jahr hat’s mir den Raps und die Gerste verhagelt. Wer weiß, ob sich die Arbeit lohnt. Vielleicht hagelt es ja wieder, oder es verregnet mir die Ernte. Ich pflüge dies’ Jahr einmal nicht. Ich säe die Frucht gleich in die Disteln und Dornen und was dann aufgeht, das ernte ich dann eben.
Würden Sie das so machen? Aber nein, bestimmt nicht. Wer würde denn so etwas tun? „Pflüget ein Neues und säet nicht in die Dornen“ lautet ein Rat aus der Bibel, aus dem Prophetenbuch Jeremia. Aber sagen Sie mir, wer wäre denn so doof, ein Feld zu bestellen und nicht zu pflügen und die Saat gleich auf die Disteln und Quecken zu streuen? Man weiß es nie. Menschen nehmen auch anderes Unkraut ins neue Jahr und säen Neues darüber, ohne das alte erst einmal umzupflügen. Den Streit und die Verletzungen vom letzten Jahr  lassen sie wachsen, denn das noch einmal umzupflügen ist harte Arbeit, und wer weiß, ob es sich lohnt. So säen sie all ihre Bemühungen um Gerechtigkeit und Liebe und liebevolles Miteinander auf eine verletzte Beziehung, in den Schmerz und die Kränkung hinein. Immerhin, sie fahren die Saat noch aus. Es gibt auch Menschen, die einen solchen Acker, der sie einmal enttäuscht hat, überhaupt nicht mehr bestellen. Das Unkraut des Schweigens und Nicht-mehr-grüßens wuchert immer über einer Beziehung, und je höher es wuchert, desto unwirtschaftlicher scheint es, darauf noch einmal etwas zu säen. Mit einem Acker geht man kaum so um, aber mit anderen Menschen verfahren viele so. Man lässt das alte Unkraut wuchern, so dass nichts Neues wachsen kann. Klar scheint mir: Um zu gedeihen, braucht Liebe einen vorbereiteten Boden. Kränkungen müssen aufgehoben und im Gespräch zum Guten gewendet werden. Harte Positionen müssen gelockert werden. All das Schmollen und den Trotz muss man selber umwenden, damit auf seiner Rückseite etwas Neues gedeihen kann. Das kann weh tun, noch einmal spürt man die Verletzung. Aber Das Schweigen muss aufgebrochen werden. Wer Recht hat oder Unrecht ist ja gar keine Frage, im Verhältnis zu dem Leiden, was das stolze oder gekränkte Schweigen anrichtet. Was zählt ist, was heilt. Also geht es doch darum, ob man sich in die Position des anderen hineinversetzen kann, und ob man es schafft, das in irgendwelche geeignete Worte zu fassen. Worte des Bedauerns stehen nicht am Anfang, es ist schon gut, wenn sie am Ende möglich werden. Zum Bereiten eines guten Bodens gehört sicher auch, dass man sich im Stillen mit sich selbst auseinandersetzt. Was war gelungen, was ist mir missraten in der vergangenen Zeit? Wie kann es beim nächsten Mal besser werden?
Diese Art von Arbeit ist hart, und der Ertrag ist so unsicher wie jede Ernte. Und trotzdem: Wer seine Liebe auf fruchtbaren Boden fallen lassen will, muss den harten Boden vergangener Enttäuschungen neu um brechen und von neuem seine Saat ausstreuen. Also: „Pflügt aufs Neue, und sät nicht unter die Dornen!“

 

Durchhalten

Ich möchte gern eine Geschichte erzählen, die vom Durchhandeln handelt, und davon, zusammenzuhalten, zu seinen Werten und zu seinem Selbstwertgefühl zu stehen. Ich weiß noch nicht genau, wie ich sie therapeutisch nutzen kann. Ich erzähle sie hier, weil sie mich berührt.

Im Westjordanland, etwa zehn Kilometer südwestlich von Bethlehem, haben wir Familie Nasser besucht. Die Nassers sind eine christlich-palästinensische Bauernfamilie, die ihren kleinen Hof auf der Anhöhe zu einem Begegnungszentrum gemacht haben für Palästinenser, Israleis und Menschen aus aller Welt, die Frieden suchen. Am Eingangstor des kleinen Landwirtschaftsbetriebes liegt ein Stein, auf den sie geschrieben haben: „We refuse to be enemies. Wir weigern uns, Feinde zu sein.“

Was es mit diesem Satz auf sich hat, haben wir im Gespräch mit dem Besitzer des Betriebs erfahren. „Mein Großvater“, so erzählte er, hat dieses Land im Jahr 1917 von der damaligen osmanischen Besatzungsmacht gekauft. Dann hat er etwas getan, was für die damalige Zeit und noch lange danach sehr ungewöhnlich, ja, geradezu verrückt war. Er hat sich Papiere über den Grundbesitz ausstellen lassen und hat Steuern gezahlt. Jahr für Jahr hat unsere Familie Steuern gezahlt für dieses Papier, das sonst keiner hatte.“ Bis dahin hatten die Bauern einfach dort gelebt, wo ihre Familien immer gelebt hatten; durch mündliche Überlieferung und durch Zeugen wusste jedes Dorf und jede Familie, wo das Land der einen anfing und wo das Land der anderen aufhörte. Warum sollte man Land von einer Besatzungsmacht kaufen, die erst kürzlich gekommen war und vielleicht schon bald von den nächsten Besatzern abgelöst werden würde? „Erst haben wir der osmanischen Besatzung Steuern gezahblt, dann der jordanischen, danach den Engländern und schließlich den Israelis. Dann hat der israelische Staat angefangen ringsumher Siedlungen zu bauen. Eines Tages kamen Soldaten und haben uns gesagt, wir sollten hier verschwinden. Wir sagten, das Land gehört uns. Sie wollten das nicht glauben. Wir haben dann den israleischen Behörden unsere Papiere gezeigt. Wir konnten belegen, dass wir das Land gekauft hatten und lückenlos unsere Steuern bezahlt hatten – an die Osmanen, an die Jordanier, an die Engländer und auch an die Israelis. Darau haben sie gesagt: „Die Papiere sind gefälscht.“ Sie haben von uns verlangt, einen israelischen Notar auf unsere Kosten nach Istanbul und London zu schicken, um in den Archiven dort nachzuschauen, ob unsere Vorfahren das Land tatsächlich gekauft haben. Der Notar hat die Belege tatsächlich gefunden. Als die israelische Seite bemerkt hat, dass sie den Prozess nicht gewinnen können, haben sie ihn verschleppt, so dass er in der Schwebe hängt und nie zu Ende gebracht wird. Dann haben sie Bulldozer geschickt, die unsere Zufahrtsstraße verschüttet haben, damit wir uns nicht mehr versorgen können. Wir haben uns dann einen anderen Zugangsweg freigeschaufelt. Sie haben den Palästinensern hier in Palästina verboten, Strom zu haben und irgendetwas zu bauen. Sie haben uns dann Abrissverfügungen geschickt für die Gebäude, die hier stehen. Wir haben gesagt, die sind damals rechtmäßig gebaut worden. Ich fragte einen von ihnen: ‚Gilt für mich das gleiche Recht, wie für einen Israeli, der hier wohnt?‘ Er sagte: ‚Ja.‘ Ich fragte: ‚Dort drüben sind Häuser, die israelische Siedler ohne Genehmigung gebaut haben. Warum schickt ihr dorthin keine Abrissgenehmigung?‘ Der Mann sagte: ‚Das geht Sie nichts an.‘ Gegen den Abriss unseres Wohnhauses haben wir prozessiert. Als wir fertig waren und die Genehmigung zurückgenommen war, haben sie uns einfach sechs neue Abrissverfügungen geschickt. Die Zelte und der Verschlag für die Hühner, alles soll angeblich ein Gebäude sein und darum abgerissen sein. Die Hühner haben wir jetzt in einen Wohnwagen gebracht. Ein Wohnwagen ist ja kein Gebäude. Oft kreisen Hubschrauber über uns, um zu beobachten, was wir machen. Sie haben uns immer neue Abrissverfügungen geschickt. Einmal waren wir so kurz davor, dass wir uns sicher waren, dass nächste Woche die Bulldozer unser Haus abreißen. Wir haben das in E-mails ein paar Freunden in Europa mitgeteilt. Gar nicht systematisch. Wir haben gar nicht gedacht, dass wir etwas dagegen ausrichten können. Aber die haben dann offenbar so viele Briefe an die Regierung geschickt, dass dann nichts passiert ist. Auch im Moment haben wir einen Prozess gegen solche Verfügungen am laufen. Schauen Sie, wir haben uns jetzt Höhlen in den Kalkstein gebaut. Eine Höhle ist ja kein Gebäude. Und der Strom… ein Deutscher, der hier war, hat gesagt, ich organisiere Ihnen das, dass Sie Solarzellen bekommen. Ich habe das nicht geglaubt. Aber irgendwann kamen Leute und haben uns hier Solarzellen installiert. So haben wir auch Licht in unseren Höhlen. Seit 1991 haben wir 150.000 Dollar Prozesskosten, um für ein Land zu kämpfen, das uns rechtmäßig gehört, das wir gekauft haben und für das wir Steuern gezahlt haben. Wir haben auf unserem Land 250 Olivenbäume gepflanzt. Wenn man sein Land behalten will, ist es gut, etwas darauf zu pflanzen. Dann kann niemand sagen: ‚Das Land gehört niemand, es wird ja nicht genutzt.‘ Eines Nachts sind Siedler aus der Nachbarschaft gekommen und haben die 250 Olivenbäume alle abgesägt. Das hat uns sehr getroffen. Nicht nur wegen des wirtschaftlichen Verlusts. Olivenbäume wachsen sehr langsam. Für uns ist ein Olivenbaum auch ein Zeichen für Hoffnung, für den Glauben an die Zukunft. Es ist ein Symbol. Wir waren sehr niedergeschlagen. Dann hat eine jüdische Menschenrechtsorganisation in Europa von dem Fall gehört. Sie haben uns geschrieben, dass sie uns die Bäume ersetzen wollen. Ein paar Wochen später sind freiwillige Helfer aus Europa angereist und haben 250 junge Olivenbäume bei uns gepflanzt. Einige Zeit später haben wir einen anonymen Anruf bekomme. Ein Mann hat uns 1 Million Dollar für das Land geboten, dann zwei Millionen. Wir haben gesagt: ‚Das ist das Land, das unser Großvater uns gekauft hat und auf dem wir groß geworden sind. Es ist das Land unserer Famile. Wir leben hier. Es ist nicht zu verkaufen.‘ Einige Zeit später haben wir wieder einen Anruf bekommen. Sie wollten uns 10 Millionen Dollar bieten, dann zwanzig. Schließlich haben sie ins Telefon gerufen: ‚Dann sagen Sie uns doch einfach, wieviel sie wollen! Wir zahlen Ihnen auch das Ticket nach Amerika, und damit ist es dann gut!‘ Wir sind nicht darauf eingegangen. Wir wissen nicht, wie lange wir hier bleiben können. Wir prozessieren jetzt seit 1991, und es ist kein Ende in Sicht.“ Sie sagen auch: „Nicht die Israelis sind schlecht. Wir haben viele israelische Freunde. Schlecht ist das System, das so mit uns umgeht.“

Der Hügel, auf dem diese Familie lebt, gehört zu einer Bergkette, auf dem die israelische Regierung sogenannte jüdische Siedlungen errichtet, das sind Trabantenstädte rund um Jerusalen, die auf staatsfremdem Gebiet errichtet werden, wobei stetig weitere Palästinensergebiete annektiert werden. Palästina wird dadurch zu einem Löcherkäse, auf dem kein Staatsgebiet mehr errichtet werden kann, weil er von jüdischen Enklaven durchlöchert ist. Die Siedlungen werden zuerst einzeln, dann (jeweils mit einer größeren Umbaumaßnahme) als ganze Hügelkette von einer zehn Meter hohen Mauer umfriedet. Das Grundeigentum dieser Familie ist auf einem Hügel einer solchen Kette, der mit einer solchen Mauer und entsprechenden Straßen, die nur von jüdischen Siedlern benutzt werden dürfen, aus Palästina herausgeschnitten werden soll. Vorestern wurde in den Nachrichten berichtet, dass israelische Behörden solche von deutschen Firmen gebauten Solaranlagen abreißen wollen.

Übrigens: Berichte, Fotos und Videos mit Interviews und Dokumentationen zum Leben dieser Familie findet ihr hier.

 

 

Romeo und Julia in der Mediation

Vor drei Wochen war ich auf dem Festival für Gewaltfreie Kommunikation in Bialobrzegy bei Warschau. Dort habe ich unter anderem Ike Lasater kennengelernt, einen bekannten Trainer für Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg aus den USA.
Ike hat einmal eine Mediation zwischen Romeo und Julia sowie ihren jeweiligen Familien durchgeführt – das Video seiner sehenswerten Vermittlungstätigkeit könnt ihr hier sehen…
Viel Spaß beim Zuschauen!


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Wie man einen Acker bestellt

Einige Gedanken zum ausklingenden und zum neuen Jahr möchte ich gerne mit euch teilen…

Das alte Jahr geht zu Ende. Ein neues Jahr liegt vor uns wie ein Acker. Ungepflügt und unbestellt darauf wartet es darauf, beackert zu werden. Ich stelle mir vor, dass an uns liegt, die vor uns liegende Zeit zu bestellen wie ein Feld, so dass sie Früchte trägt – Früchte des Erfolgs, des Glücks, der Liebe, Früchte eines gelingenden Lebens. Ich stelle mir vor, dass es unsere Aufgabe ist, die Scholle zu wenden, unsere Saat zu säen und die Ernte einzubringen. Es gibt verschiedene Stile, so einen Acker zu bestellen. Man kann ihn tief oder flach pflügen, im Herbst, im Winter oder Frühjahr, mit vielen oder wenigen Pflugscharen drüber fahren oder ihn mit ganz anders geformten modernen Gerätschaften bearbeiten. Wer den Fortschritt ablehnt, muss einen Ochsen anschirren oder sich selber vorspannen, wobei entsprechend leichtes Gerät zu empfehlen wäre. Man könnte auch hingehen und sagen: Das letzte Jahr hat’s mir den Raps und die Gerste verhagelt. Wer weiß, ob sich die Arbeit lohnt? Vielleicht hagelt’s wieder, oder es verregnet mir die Ernte. Ich pflüge dies’ Jahr mal nicht. Da hab ich weniger Arbeit. Ich säe die Frucht gleich in die Disteln und Dornen und was dann aufgeht, das ernte ich dann eben.
Würdet ihr das machen? Wahrscheinlich nicht! Wer wäre denn so doof, ein Feld zu bestellen und es nicht zu pflügen? Wer würde denn die Saat auf Disteln und Quecken zu streuen? Obwohl – man weiß ja nie. Denn viele Menschen nehmen das Unkraut des alten Jahres mit ins neue Jahr und säen Neues darüber, ohne noch einmal drüber zu pflügen. Die Verletzungen vom letzten Jahr lassen sie keimen und wachsen und Früchte tragen. Den Streit von früher lassen sie schwelen, anstatt für eine Klärung zu kämpfen. Die Versäumnisse, die Fehler – die lassen sie auf sich beruhen. Auch dann, wenn ein mutiges Wort, eine freundliche Geste den Weg zur Heilung ebnen könnte. Ein Wort der Entschuldigung… eine Nachfrage: „Ist zwischen uns alles geklärt?“, oder eine Bitte: „Hör mir bitte nochmal in Ruhe zu!“ … eine Forderung: „Ich muss da mit dir drüber reden!“, eine Ansage: „Ich will mich mit dir versöhnen, aber erst muss ich dir sagen, was mich geärgert hat.“ Wo so etwas ausbleibt, werden Beziehungen gefährdet. Die Gründe, zu schweigen sind klar und verständlich: Denn das Alte nochmal umzupflügen ist harte Arbeit. Oft genug muss der Stolz überwunden werden und die Angst vor eigenen Verletzungen. Und es bleibt die Frage: Wie kann man wissen, ob die Mühe sich lohnt?
So säen viele auf ungepflügte Äcker, auf die Disteln des gestrigen Tages, auf die Dornen des vorigen Jahres. Darauf säen sie das Gute, was sie zu geben haben, ihre Bemühung um Gerechtigkeit und Liebe. Sie säen gute Körner auf eine verletzte Beziehung, in den Schmerz und die Kränkung, ohne zuerst den Acker in Ordnung zu bringen. Sie verstehen nicht, warum die gute Saat keine Frucht bringt. Immerhin, sie fahren die Saat noch aus. Es gibt andere, die einen Acker, der sie enttäuscht hat, nie mehr bestellen. Das Unkraut des Anschweigens wuchert dort haushoch. Je höher es wuchert, desto unwirtschaftlicher scheint es, darauf noch einmal zu säen. Mit einem Acker geht man kaum so um, miteinander verfahren viele so. Man lässt das alte Unkraut wuchern, so dass nichts Neues wachsen kann. Aber der Boden muss bestellt werden damit Beziehungen gedeihen. Kränkungen müssen zum Guten gewendet werden. Harte Positionen müssen gelockert werden. Alles Schmollen bringt nichts. Den Trotz muss man selber umwenden, damit auf seiner Rückseite etwas Neues gedeihen kann. Es tut weh, denn noch einmal spürt man die Verletzung. Nur: Das Schweigen muss gebrochen werden, sonst kann nichts Gutes wachsen. Wer Recht hat oder Unrecht – ist das die Frage? Recht haben ist belanglos im Verhältnis zu dem Leid, was dieses Schweigen anrichtet. Was zählt ist, was heilt. Also geht es doch darum, ob man sich in die Position des anderen hineinversetzt oder es wenigstens versucht, ins Gespräch zu kommen und eine neue Sicht zu gewinnen. Diese Art von Arbeit ist hart, und der Ertrag ist so unsicher wie jede Ernte. Und trotzdem: Wer seine Liebe auf fruchtbaren Boden fallen lassen will, muss den harten Boden vergangener Enttäuschungen neu umbrechen und dann von neuem seine Saat ausstreuen. Vor langer Zeit, vor zweieinhalbtausend Jahren, hatte ein Prophet namens Jeremia solche Gedanken. In seinen Worten hat er es so ausgedrückt: „Pflüget ein Neues, und säet nicht unter die Dornen!“

Hypnotherapeutische Stärkung in den letzten Stunden des Lebens

Zuletzt habe ich den Blog „Loslassen“ über die Begegnung mit einem sterbenden Menschen veröffentlicht. Dass ich mich damit gerade verstärkt befasse, hat einen besonderen Grund.

„Wo keine Heilung möglich ist – Hypnotherapeutische Stärkung in den letzten Stunden des Lebens“ – unter diesem Titel halte ich nämlich am Samstag Vormittag auf der Jahrestagung der Milton-Erickson-Gesellschaft in Bad Kissingen einen Workshop. Dabei fließen die Erfahrungen als Klinikpfarrer, als systemischer Therapeut und als Hypnotherapeut zusammen.

Wie können wir Sterbenden in den letzten Stunden ihres Lebens hilfreich zur Seite stehen? Wie können wir – außer mit Medikamenten und Apparaten – Schmerzen reduzieren, das Atmen erleichtern, vor allem aber auch helfen, Kummer und Angst abzulegen, den Kampf – wo es denn nötig ist – zu beenden und loszulassen?

Der Workshop geht aus von Erfahrungen, die ich beiGebeten an Sterbebetten gemacht habe: Dass fast alle Sterbenden – wenngleich ohne Worte – auf das Gesagte (und offensichtlich Gehörte) reagieren, so dass Trost, Ermutigung, aber auch hypnotherapeutische Interventionen zur Verbesserung des Befindens bis zu den letzten Atemzügen eines Menschen ankommen und umgesetzt werden können.

Es ist ein Thema, vor dem viele von uns Scheu haben – und auch ich empfinde diese Unsicherheit. Es stellen sich verschiedene ethische (oder einfach zwischenmenschliche) Fragen, die nicht vollständig lösbar sind: Was will der Sterbende selbst? Kann man bedenkenlos als heilig empfundene Handlungen wie Gebet und Segen mit therapeutischen Techniken verknüpfen? Wenn ein Sterbender bei einer solchen Andacht  unter großer Anspannung steht (seinem Herzschlag und Atem nach zu urteilen) und danach fast sofort verstirbt – ist das ein gutes „Loslassen“ oder eine Zumutung?

In dem Workshop werden wir diese und andere Fragen diskutieren, Erfahrungen austauschen und verschiedene Herangehensweisen, die zur Reduzierung von Angst, Kummer, Schmerzen und Atemnot führen, ganz praktisch ausprobieren.

Ich freue mich auf die gemeinsame Erfahrung!

Eine Geschichte vom Himmel

Frohe Ostern euch allen! Also, diese Geschichte habe ich mir weder ausgedacht, noch hab ich sie erlebt. Ein Freund hat sie mir geschickt. Sie stammt von einem Autor namens Tilman Haberer. Ich mag diese Geschichte sehr, und ich dachte mir, weil heute Ostern ist, … oder vielleicht auch einfach sowieso … egal, ich möchte diese Geschichte gerne mit euch teilen. Also…

Ich stell‘ mir vor, ich bin gestorben, und ich stehe vor der Tür des Himmels. Die ist, so nehme ich an, eine ganz normale Tür an einem ganz normalen Haus. Aber ich weiß, hinter der Tür wohnt Gott. Ich habe ein ganz schön mulmiges Gefühl im Bauch, schließlich habe ich ja Gott noch nie von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Trotzdem fasse ich mir ein Herz und drücke auf die Klinke.
Ich brauche nicht lange zu warten, da geht die Tür auf. Ich bin als erstes sehr überrascht, denn Gott sieht anders aus als ich erwartet habe. Er ist noch recht jung, noch keine 30, er ist ganz normal gekleidet, nicht anders als ich. Als er mich sieht, strahlt er mich an und sagt: „Mensch, Tilman, schön, dass du da bist! Komm rein!“ In demselben Moment, in dem ich Gott sehe, ist mein mulmiges Gefühl fort.
Gott sieht sehr sympathisch aus, und ich merke sofort, dass er mich mag. Ich folge ihm in die Wohnung. Sie ist ziemlich einfach eingerichtet, aber sehr gemütlich. Sofort fühle ich mich wohl. Ich fühle mich zu Hause. Hier gehöre ich hin. Gott bietet mir einen Platz an, dann stellt er zwei Weingläser auf den Tisch und macht einen guten Frankenwein auf. Meine ursprüngliche Spannung und Nervosität ist wie weggeblasen, und dann fangen wir an zu reden.
Wir reden über mein ganzes Leben, über die guten und schönen Erfahrungen, die ich gemacht habe, aber auch über das, was nicht gut war, wo ich etwas falsch gemacht habe, wo mich andere falsch behandelt haben, wo ich gelitten habe und anderen Leid zugefügt habe. Aber aus der Art und Weise, wie Gott mit mir darüber redet, merke ich: Das alles steht nicht zwischen uns, es trennt mich nicht mehr von Gott; ja, ich erkenne, was für ein miserables Leben ich teilweise geführt habe. Aber ich weiß: Gott trägt mir das nicht nach. Gott nimmt mich einfach so, wie ich bin. Diese Erkenntnis tut gut, sie tut aber auch sehr weh. Gott hat mich einfach gern mit all dem, was ich verbockt habe, und das tut wirklich weh.

Ja, und dann sagt Gott zu mir: „So, jetzt gehen wir zu den anderen.“ Und er steht auf und öffnet eine Tür. Da steht eine große Festtafel, und da sitzen alle, die mir in meinem Leben lieb waren: meine Eltern, meine Freunde, und auch die, die mir nicht lieb waren. Aber ich spüre: Auch von denen trennt mich nichts mehr. Noch einmal reißt mich ein Schmerz fast in Stücke. Ich sehe die Menschen, mit denen ich zusammen war. Und mir wird klar, wie viel Dummheit und Gemeinheit und Bosheit zwischen uns lag. Aber der Schmerz vergeht, und wir können uns in die Augen sehen. Und dann beginnt das Fest. Und das ist der Himmel.

(Quelle: Andreas Ebert, Auf Schatzsuche. 12 Expeditionen ins Innere des Christentums, Claudius Verlag 1993, S. 14f.)

Gespräche am Sterbebett

Wie spricht man mit Menschen im Koma? Und was kann man zu einem sterbenden Menschen sagen? Grundsätzlich Dinge, deren positive Ausrichtung sofort spürbar ist und die zugleich ehrlich sind. Grundsätzlich Dinge, die den Sterbenden als Lebenden respektieren. Grundsätzlich möchte ich weder so tun, als gäbe es kein Sterben, noch so, als wäre der andere schon nicht mehr da. Grundsätzlich möchte ich so reden, dass es das Mitdenken nicht schwerfällt: Ganz anschaulich, in Bildern, in Tagträumen, und möglichst in Worten, die dem anderen Menschen schon längst etwas bedeuten. Einige Gedanken aus meiner Arbeit als Pfarrer möchte ich hier anfügen.

Vor kurzem wurde ich ins Krankenhaus gerufen, zu einem schwer kranken Mann. Die Ärzte sagten, dass er in den nächsten Tagen oder Wochen sterben werde. Seine Frau, die sehr gläubig war, hatte mich gebeten, zu kommen. Als ich mit den beiden sprach, wurde bald deutlich: Er wollte kein Gebet, das Abschied bedeuten könnte. Er wollte leben. „Verstehen Sie“, sagte er, „Beten ist gut, aber jetzt geht es nicht. Jetzt ist nicht die Zeit. Vielleicht später“, sagte er. Ob ich aus der Ferne um Leben, um ein Wunder für ihn beten sollte, fragte ich. „Das ist gut“, antwortete er.
Am anderen Tag lag er im Koma. Es atmete in kurzen Stößen, und es war zu sehen, dass er im Sterben lag. Ich las ihm den Psalm vom guten Hirten vor, sprach ein Gebet, das Vaterunser und einen Segen. Wenn ich den Eindruck hatte, dass ihm eine Zeile des Psalms gut tat, las ich die Zeile zweimal oder dreimal. Ich las die Zeilen ruhig und mit Pausen vor, und wir hatten den Eindruck, dass darüber auch sein Atem immer ruhiger wurde. Sein Atem folgte meinem, und wenn ich sehr langsam sprach, setzte der Atem manchmal für eine Weile aus, um danach doch wieder ruhig weiterzufließen. Alles, was ihm Kummer oder Angst machen könnte, möge er ablegen, so bat ich ihn, wie an einer Garderobe Gottes. Was mit Schuld oder Vorwürfen zu tun hätte, alle Gedanken, die was ihm nicht gut täten und alles, was er nicht braucht, möge er wie Kleider ablegen bei Gott. Nach diesen Worten von meiner Seite sprach auch seine Frau mit ihm über das Loslassen: Davon, dass Sie ihn nicht festhalte, dass er loslassen dürfe und davon, dass er seine Liebe zu ihr auch von der anderen Seite aus ausdrücken kann. Es scheint mir ganz deutlich so, dass er das hören und für sich annehmen konnte. Etwa eine viertel Stunde später starb er ruhig, ohne Kampf.

Aus dem Maul des Krokodils

Diese Geschichte verwende ich bei einigen Gruppenkonflikten, bei widersprüchlicher Kommunikation (Doppelbotschaften), im Zusammenhang mit Borderlinestörungen und komplizierten Ambivalenzen in Beziehungen und bei einer widersprüchlichen und teilweise destruktiven Autokommunikation der Klienten. Man kann solche Geschichten sehr unterschiedlich verwenden, je nachdem, ob man alle Protagonisten als Teile eines „inneren Teams“ im Klienten sieht (also als verschiedene Persönlichkeitsanteile), ob man sie alle als äußere Figuren sieht (Konflikt zwischen Familien- oder Teammitgliedern, Konflikt zwischen verschiedenen Teams oder Teilen einer Gesellschaft) oder ob man sie teils als innere und Teils als äußere Figuren sieht (Doppelbindungs-Kommunikation).

„Guten Morgen, liebes Zebra!“ Der kleine Vogel saß in Alis aufgesperrtem Rachen und pickte die Essensreste aus den Krokodilszähnen. Freundlich begrüßte er den alten Freund. Doch das Zebra starrte ihn aus großen Augen an, tat einen Satz zurück und nahm Reißaus. „Aber Zebra, du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben. Wir haben uns doch immer…“ Der Vogel schaute nach dem Krokodil. „Was hat er nur? Verstehst du das?“ Ali schüttelte den Kopf. „Zebras sind komisch. Keine Ahnung.“