Seminar: Hypnotherapeutische Stärkung in den letzten Stunden des Lebens

Bei der Jahrestagung der Milton-Erickson-Gesellschaft am 22. – 25. März in Bad Kissingen halte ich einen Workshop zum Thema „Wo keine Heilung möglich ist: Hypnotherapeutische Stärkung in den letzten Stunden des Lebens“. In dem Workshop möchte ich gemeinsam mit den Teilnehmern darüber nachdenken, was wir für Sterbende in den letzten Stunden des Lebens tun können. Meine Berührung mit dem Thema kommt ja eigentlich von einer ganz anderen Seite: Ich bin evangelischer Klinikpfarrer, arbeite unter anderem auf einer Intensivstation und werde natürlich auch manchmal zu Sterbenden und deren Familien gerufen. Oft bete ich mit den Sterbenden und ihren Angehörigen. Im Laufe der Zeit merkt man, wie viele Menschen auf das, was sie hören, reagieren – auch in ihren letzten Lebensminuten, auch im Koma und unter Morphium. Und man findet heraus, dass manche Arten, die Menschen anzusprechen, ihnen anscheinend die Schmerzen lindern, das Atmen leichter machen und ihnen auch das Loslassen erleichtern. Oft erlebe ich, dass Menschen unmittelbar nach dem Gebet sterben.

Fast fünfzig Teilnehmer haben sich zu dem Workshop angemeldet; es scheint ein großes Interesse an dem Thema zu geben. So überlege ich, ob ich dazu einmal an anderer Stelle einmal ein Seminar halte. Für die, die zu dem Kongress gehen oder die sich fragen, wie wir Sterbenden den Abschied leichter machen können, möchte ich hier den Ausschreibungstext wiedergeben.

„Wo keine Heilung möglich ist: Hypnotherapeutische Stärkung in den letzten Stunden des Lebens“

Wie können wir Sterbende und ihre Familien in den letzten Lebensstunden mit Mitteln der Hypnotherapie und Systemik palliativ, psychotherapeutisch und auch spirituell unterstützen? Wie kann ein möglichst umfassender Beistand aussehen? Der Workshop bringt die Bilder- und Wertewelt unserer jahrtausendealten christlich-jüdischen Tradition neu ins Gespräch mit den Möglichkeiten der Hypnotherapie, insbesondere Pacing- und Leading-Strategien, dem Gebrauch von Metaphern und Mehrebenenkommunikation sowie der Utilisation von Werten und Überzeugungen des Sterbenden und seiner Angehörigen. Der Workshop wendet sich ausdrücklich auch an klinisches Personal ohne feste religiöse Überzeugungen.

Insbesondere  befassen wir uns mit den Fragen:

Wie kommunizieren wir mit sterbenden Patienten, die sich verbal wenig oder nicht mehr äußern können?
Wie finden wir Worte und Themen, die für sie von Bedeutung sein können?
Wie können wir nonverbale Reaktionen von Patienten im Koma oder unter Morphiumeinfluss verstehen und gut darauf reagieren?
Wie können wir auf Ängste, Groll, Sorgen und Befürchtungen von Patienten eingehen?
Wie können wir ins Gespräch hypnotherapeutische Interventionen zur Reduzierung von Schmerzen oder Atemproblemen integrieren?
Wie können wir Patienten in einem irreversiblen Stadium des Sterbens helfen, den Kampf zu beenden und „loszulassen“?
Wie können hypnotherapeutische Fertigkeiten und Traditionen wie Zuspruch von Vergebung, Gebet und Segen einander hilfreich sein?
Wie können religiöse Bilder (der gute Hirte, das himmlische Festmahl) auch von religiös eher skeptischen Menschen bzw. für sterbende Menschen ohne starke religiöse Überzeugung genutzt werden?

Der Workshop zeigt mit vielen Fallbeispielen, wie hypnotherapeutische Unterstützung und spirituelle Tradition verbunden werden können, auch ohne sich religiös aus dem Fenster zu lehnen. Bei den Bildern vom himmlischen Fest, vom Heimkommen oder vom guten Hirten darf offen bleiben, ob sie eher als therapeutische Übung, als wohltuende Traumbilder oder als geistliches Geschehen aufgefasst werden. Das werden die im Raum versammelten Menschen, also der Sterbnde, die verschiedenen Angehörigen und die Mitglieder des klinischen Personals wohl dann auch ganz unterschiedlich sehen.

Spielend III

Wenn du ein Musikstück schnell spielst, kannst du jede Schlamperei verstecken. Jeder zu kurze, zu lange, schlecht gespielte oder falsche Ton wird sofort von einem anderen abgelöst. Darum ist es schwieriger, ein Stück langsam zu spielen als schnell. Wer langsam spielen kann, kann spielen!

(S. Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens, S. 235)

Das Myom II

„Wenn du heute Nachmittag aufwachst“, so sagte ich zu der Freundin, „ist die Operation vorüber, und das Myom ist weg. Du hast dich gefragt, ob es einen Auslöser für seine Entstehung gab. Eigentlich ist es egal, was der Auslöser war. Was du tun kannst, ist dies: Erinnere dich an belastende und vielleicht traumatische Erlebnisse und an andere Dinge, die du loslassen und loswerden möchtest. Packe alles, was du nicht mehr brauchst, in Gedanken in das Myom. Und wenn du heute Nachmittag aufwachst, hast du sie mit auf den Weg geschickt.“

Die Freundin äußerte später, sie habe den Vorschlag umgesetzt und ihre Reaktionen auf verschiedene belastende Erlebnisse ihrer Vergangenheit in das Myom verlagert. Sie habe das Vorgehen als befreiend erlebt. Nach der Operation habe sie sich sehr schnell erholt und habe sich kraftvoller und aktiver als in den Monaten zuvor gefühlt.

Die Seefrau an Land

Diese Geschichte habe ich in der Therapie verwendet bei Leuten, die einen organisch nicht erklärbaren Schwindel hatten.(Anhaltenden Schwindel immer ärztlich abklären lassen!) Das Bild ist auch geeignet für die Therapie von Menschen in manchen Mobbing- oder Verlustsituationen und in anderen Therapien zum Thema Identitätsfindung (etwa im Umfeld von Beratungen zu Selbstsicherheit, Traumaerfahrungen und bei Borderline-Diagnosen).

„Ich komme gerade von einem fünftägigen Segeltörn“, erzählte die Frau. „Mein Kopf gaukelt mir vor, ich wäre noch auf dem Schiff. Alles hier schaukelt und schwankt.“ „Ich war einmal in einem Schiffsmuseum“, antwortete der Mann. „Sie hatten dort eine Halterung für Kerzen, so dass sie selbst auf hoher See stets aufrecht stehen bleiben. Die Halterung besteht aus drei ineinander gefügten Ringen, die miteinander verbunden sind, so dass jeder innerhalb des anderen frei drehbar ist. Der äußere Ring, der an einer Kette hängt, ist senkrecht befestigt, der mittlere des gleichen, jedoch in rechtem Winkel quer zu ihm. Der innere Ring darin liegt waagerecht. In ihm befindet sich der Kerzenhalter, mit seinem Schwerpunkt unterhalb des Rings. Gleich, wie das Schiff nun schwankt, bewegen  sich die Ringe so, dass ihre Kerze aufrecht bleibt.“ „Jetzt ist der Schwindel weg“, sagte die Frau.

Noch einmal Schnarchen

Heute hatte ich eine Frau in der Beratung, die es nervt, dass ihr Mann schnarcht. Es fällt ihr schwer, dabei zu schlafen, während er nicht von ihr geweckt werden möchte. So schlafen sie meistens in getrennten Betten, was sie aber auch bedauern. Beim letzten Mal hatte ich ihr einige Methoden gezeigt, wie man dafür sorgen kann, dass einen das Schnarchen nicht mehr stört oder dass der Partner nicht mehr schnarcht (www.stefanhammel.de/blog/2008/01/08/383/). Jetzt kam sie wieder und sagte: „Das hat alles nicht so funktioniert. Außerdem überzeugt es mich nicht, mir das Schnarchen meines Mannes schön zu reden. Es nervt eben doch.“ Schließlich sagte ich, der Anteil ihrer Persönlichkeit, der sich über das Schnarchen ärgere, wolle ja etwas Gutes für sie – was auch immer das sei. Aber gewiss habe er seine Werte und seine positive Intention, die er dabei verfolge. So schlug ihr vor, sich dann eben auf das Schnarchen zu konzentrieren, und sich dann richtig darauf zu konzentrieren und sich ordentlich darüber zu ärgern, viel mehr als vorher. Sie könnte sich so lange darauf konzentrieren und darüber ärgern, bis sie davon müde werde und davon einschlafe oder bis sie die Lust verliere und etwas anderes vorzeiehe. Überraschenderweise fand sie das richtig gut. Sie wollte dann noch einmal hypnotisiert werden, und ich sagte etwa das Folgende zu ihr: „Es kann sein, dass es Sie weiter stört, dass Ihr Mann schnarcht. Aber das braucht Sie nicht zu stören. Es braucht Sie nicht zu stören, wenn es Sie stört. Ein Teil von Ihnen kann sich darüber ärgern und daran stören, während die anderen Teile von Ihnen sich nicht daran zu stören brauchen, dass es diesen Teil stört. Dieser Teil hat seine guten Gründe dafür, und die anderen Teile können sich mit etwas anderem befassen und schon einmal schlafen gehen. Dieser Teil kann wach bleiben, um sich daran zu stören, oder er kann sich entscheiden, dass es die Hauptsache ist, sich daran zu stören, und er das auch im Schlaf tun kann. Vielleicht entdeckt er auch, dass er auf einer Skala des Ärgerns nur einen bestimmten Grad des Genervtseins braucht oder dass es verschiedene Arten gibt, sich an etwas zu stören, und er eine bestimmte Art vorzieht. Vielleicht entdeckt er, dass er seine gute Intention auf eine andere Art als vorher verwirklichen kann, und egal, auf welche Art er sich an dem Schnarchen stören möchte und wieviel er davon braucht, braucht es die anderen Teile der Persönlichkeit nicht zu stören. Sie können sich mit etwas anderem befassen und gerne auch schlafen.“

Das Gesicht der Klientin veränderte sich vollkommen. Sie sah sehr glücklich aus. Ich bin gespannt, wie es weiter geht.

Good Vibrations

Gerade bin ich mit den Korrekturen zum „Handbuch der therapeutischen Utilisation“ beschäftigt, das im April bei Klett-Cotta erscheint. Das Buch enthältFallbeispiele und Erklärungen dazu, wie man in der Therapie gerade die Dinge für die Ziele der Klienten nutzen kann, die auf den ersten Blick unnütz, lästig oder geradezu schädlich erscheinen. Dazu gehören natürlich die Erfahrungen, deretwegen die Leute in Therapie gekommen sind, zum anderen aber auch ganz alltägliche Störungen. Ich gebe einmal ein Beispiel.

Eine Frau wollte gerne hypnotisiert werden, weil sie sich nur schwer konzentrieren könne, Gedächtnisprobleme habe und sich meistens verwirrt fühle. Die ersten Therapiestunden ergaben, dass es genügend familiäre Probleme gab, um diese Schwierigkeiten zu erklären. Die Frau wünschte sich jedoch eine Therapie, die die ihre Familiensituation unberücksichtigt lassen sollte. Ich erklärte ihr, ich hielte zwar grundsätzlich ein anderes Vorgehen für angezeigt, ihrem ausdrücklichen Wunsch entsprechend werde ich aber mit ihr daran arbeiten, ihre mentalen Prozesse so weit als möglich zu optimieren, ohne ihre Familienbeziehungen und die sich daraus ergebenden Probleme zu bearbeiten.
Nach einigen Sätzen der Hypnoseinduktion begann, für mich unvorhergesehen, im Keller ein Handwerker mit einer Schlagbohrmaschine eine Wand zu durchbohren. Minutenlang vibrierte das Haus, und der Lärm war so gewaltig, dass ich sehr laut reden musste, um für die Klientin hörbar zu bleiben. Ich sagte:
„Manchmal geschieht es, dass etwas Unvorgesehenes unser Leben erschüttert, und wir merken erst einen Augenblick später, dass es etwas Gutes ist, was mit uns geschieht. Es ist, als ob in uns etwas zurecht gerüttelt wird, so dass in unserem Körper und Geist etwas vibriert und unsere geistigen Fähigkeiten aktiviert. In uns kommt etwas zum Schwingen und eine gute Resonanz bringt in uns alle Gedanken an den richtigen Platz, alle Erinnerungen und all unser Wissen werden dadurch aufgeräumt, werden neu geordnet und dadurch neu auffindbar.“
Einige Tage später sagte eine andere Frau, die mit dieser Klientin befreundet war, zu mir: „Meine Freundin hat gesagt, Sie hatten einen Handwerker im Haus, der mit einer Maschine gearbeitet hat, und das sei so wohltuend gewesen.“

(Aus: Stefan Hammel, Handbuch der therapeutischen Utilisation. Vom Nutzen des Unnützen in Psychotherapie, Kinder- und Familientherapie, Heilkunde und Beratung. Stuttgart, Klett-Cotta 2011)

Der Grashalm in der Wüste

Gestern war ich in der Kinderpsychiatrie und habe den Kindern eine Geschichte erzählt. Wir vergessen so oft, dass Menschen, die sich selbst und anderen Mühe bereiten, nicht nur aus ihren Problemen bestehen, sondern auch aus dem, was heil ist.Und wenn wir das Gesunde, Kraftvolle, Glückspendende im Leben der Kinder oder auch von uns selber pflegen, könnte es sein, dass wir mehr erreichen, als wenn wir immer mehr Zeit auf die Behandlung des Störenden verwenden. Natürlich muss man zuweilen bei dem, was stört, anknüpfen. Wenn man allerdings bei der Behandlung der Störung hängen bleibt, ist man wahrscheinlich schon selbst ein Teil der Störung geworden. Denn wer sagt uns, dass die Reaktionen der Menschen auf das Problem nicht zu dem Problem maßgeblich beitragen? Vielleicht kommen wir schneller zum Ziel, wenn wir das Unauffällige, Gesunde, Normale in den Vordergrund unserer Betrachtung stellen. Ich habe jedenfalls den Kindern die folgende Geschichte erzählt.

Ein Mann durchquerte eine Wüste. Rings um ihn her gab es nur Sand, Steine und Felsen, den leuchtend blauen Himmel und über ihm die glühend heiße Sonne. Auf der Hälfte seines Weges geschah es, dass er Rast machen wollte und sich nach einem geeigneten Platz umsah. Weiterlesen

Das Monster vom Kartoffelkeller

Wie vielleicht schon zu bemerken war, bin ich aus dem Urlaub zurückgekehrt. Die Zeit in Kambodscha war eindrucksvoll und wäre es wert, in vielen Geschichten erzählt zu werden. In der Zeit habe ich aber auch eine Mail bekommen von einer Blog-Leserin mit einer Geschichte, die gut in diesen Blog passt und die ich mit Erlaubnis der Autorin veröffentlichen darf. Die Geschichte geht so…

Als ich klein war geschah etwas höchst Seltsames. Meine Mama schickte mich in den Keller zum Kartoffeln holen. Das war schon häufiger vorgekommen, doch an diesem einen Tag geschah, wie schon erwähnt, etwas höchst Seltsames -etwas monströses! Schon als ich die Kellertür öffnete überkam mich ein seltsam ängstliches Gefühl, ich knipste schnell das Licht an und wollte die Kartoffeln in die Schüssel lesen, da hörte ich ein Geräusch. Es war ein kratziges, schnaufiges Scharren. Die Schüssel fiel scheppernd zu Boden, als ich aufsprang und aus dem Keller rannte. Oben erzählte ich meiner Mama von dem Geräusch. Sie redete beruhigend auf mich ein und kam mit mir in den Keller, doch dort war alles still. So ging es einige Tage. Immer wenn ich alleine war, vernahm ich das Geräusch, war jemand bei mir, dann war es still. Da nicht immer jemand mit mir in den Keller gehen konnte riet mir meine Mama fortan zu singen, denn der Gesang eines Mädchens könne unheimliche Geräusche vertreiben. Ich versuchte es, aber das Scharren blieb.
Wenige Tage nachdem ich es zum ersten Mal gehört hatte, entdeckte ich die Ursache des Scharrens. In der hintersten Kellerecke, dort wo kein Licht hinfiel, saß ein schauriges Monster mit langen wilden Haaren, drei rot glimmenden Augen, einem gierigen Mund voller kleiner, spitzer, blutgieriger Zähne. Seine Arme waren lang und behaart und an seinen schleimigen Händen waren acht Finger die sich gierig nach mir reckten.
Ich war starr vor Schreck und als die Starre sich löste, rannte ich panisch nach oben, um Mama zu holen. Wie zu erwarten war das Monster jedoch verschwunden, als meine Mama mit mir in den Keller ging.

So wurde es für mich immer schrecklicher, die Kellertreppe hinab zu steigen, denn ich wusste genau worauf das Monster wartete. Auf einen günstigen Moment, um mich zu packen, an sich zu reißen und seine widerlichen Zähne in mein Fleisch zu rammen. Woher ich das wusste, kann ich allerdings nicht sagen.
Die Jahre vergingen. Ich zog in meine erste eigene Wohnung – und das Monster zog dort in den Keller. Auch bei meinen weiteren Umzügen, gelang es dem Unhold stets mir zu folgen und die dunkelste Ecke des Kellers für sich zu beanspruchen.

Doch heute entschloss ich, mich dem Monster zu stellen.

Mit einer für Monster höchst gefährlichen Waffe bezwang ich die Kellertreppe. Ich hörte das kratzige, schnaubige Scharren, sah die schleimigen Hände, die sich nach mir ausstreckten. Todes mutig bewegte ich mich langsam, Schritt für Schritt auf die Ecke zu. Dann stand ich dem Monster gegenüber, so nah wie nie zuvor. Ich konnte seinen nach Verwesung stinkenden Atem riechen. Schon wollte ich mich umdrehen und weg rennen, da spürte ich in meiner Hand die Schwere und Kühle der Monsterwaffe. Ich nahm allen Mut und alle Kraft zusammen hob sie an, richtete sie auf das Monster und drückte ab…..

Das Licht der Taschenlampe durchflutete die Ecke. Sofort begann das Monster vor meinen Augen zu verschwimmen und als sich meine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten, war das Monster vollständig verschwunden. Da spürte ich das unwiderstehliche Bedürfnis zu lachen in mir. Erst leise dann immer lauter bahnte sich das Gelächter seinen weg aus meinem Innersten ins Freie und so wurden auch die letzten Reste und Spuren des Monsters aus unserem Keller vertrieben.

So habe ich nach vielen Jahren den Sieg über mein persönliches Monster davongetragen.

(Tamara Peter)

Der Tanz der Einhörner

Ich hatte ein sechsjähriges Mädchen in Therapie, das öfter angemerkt hat: „Ich will tot sein.“ Das sagte sie, wenn sie enttäuscht war, weil sie beim Spielen verloren hatte oder weil sie ein Geschenk nicht bekam. Aber man merkte auch, dass sie dabei wirklich sehr, sehr unglücklich war. Todunglücklich, würde das Mädchen vielleicht sagen. Aufs Tot-sein befragt, hat sie erklärt, dass es im Himmel Engel und Einhörner gibt, und die Einhörner sind Pferde, die in den Himmel gekommen sind, und überhaupt ist es im Himmel viel schöner.

Ich habe das Mädchen gefragt, ob ich ihm eine Geschichte erzählen darf. Die Geschichte ging so:

In einem Land, das sich Kamark nennt, gibt es einen Wald, und darin lebt eine Herde Wildpferde. Und unter ihnen lebte ein junges Pferd, das hatte einen großen Wunsch: „Ich möchte gerne die Einhörner sehen.“ Die großen Pferde haben zu dem kleinen Pferd gesagt: Das geht nicht. Die Einhörner leben im Himmel, und da können wir jetzt noch nicht hin, erst später. Das kleine Pferd hat sich damit aber nicht zufrieden gegeben, und als ihm keines von den großen Pferden eine befriedigende Lösung sagen konnte, wie es die Einhörner treffen könnte, da ist es zur Eule gegangen. Die Eule weiß nämlich fast alles. Das Pferd hat dreimal mit dem Huf an dem großen Baum gescharrt, in dem die Eule hoch oben in einer Höhle gewohnt hat. Das ist das Zeichen zwischen den Pferden und der Eule, wenn die Pferde etwas wissen wollen. Die Eule hat rausgeguckt und hat gefragt: „Was ist los, kleines Pferd?“ „Ich will die Einhörner sehen“, hat das Pferd gesagt. „Die Einhörner wohnen im Himmel, da brauchst du ein Flugzeug“, hat die Eule gesagt. „Wie bekomme ich ein Flugzeug?“ Das kleine Pferd ließ nicht locker. Die Eule dachte eine Weile nach und sagte dann: „Ich habe eine Idee. Komm mit mir!“ Die Eule flog los, und das kleine Pferd galoppierte hinter ihr her. „Das wollte ich sowieso schon lange mal machen!“ rief die Eule. Sie flogen quer durch den Wald und aus dem Wald heraus und kamen schließlich zu einem Zoo. Dort flog die Eule hinein. Sie flog zum Zoowärterhaus, guckte dort hinein und wartete, bis der Wärter in eine andere Richtung schaute. Dann flog sie lautlos hinein, nahm in ihren Schnabel einen Schlüssel und flog genauso still und leise wieder heraus, hinüber zum Affenhaus. Sie öffnete den Käfig und ließ den Affen heraus. Setz dich auf das Pferd und halte dich an der Mähne fest!“, rief sie. Der Affe tat, wie ihm geheißen wurde, die Eule flog voraus und das kleine Pferd galoppierte mit dem Affen hinterher. „Wie kann ich euch das nur danken?“ fragte der Affe, als sie schließlich in dem Wald, wo das kleine Pferd wohnte, halt machten. „Bau für das kleine Pferd ein Flugzeug“, sagte die Eule, und bald machte sich der Affe ans Werk. Weiterlesen

Die Klinke ölen

Heute habe ich mit einem Freund telefoniert, der Arzt ist. Er hat mir folgende kleine Geschichte erzählt:

„Ich hatte eine Frau in Behandlung, die Arthrose in den Daumen hatte. Nach einer homöopathischen Behandlung mit ‚Teufelskralle‘ war der eine Daumen schon viel besser, der andere aber war noch recht unbeweglich und schmerzte bei jedem Bewegungsversuch. Ich gab ihr noch eine homöopathische Spritze und ging mit zur Tür, um die Frau zu verabschieden. Die Türklinke quietschte schrecklich. Das tat sie schon lange, aber diesmal störte es mich aus irgendeinem Grund. Während wir noch im Gespräch waren, holte ich einen Spray für die Tür. Ich sprühte das Gelenk der Klinke ein und bewegte die Klinke mehrmals hin und her. Während ich das tat, fiel mir auf, dass die Frau ihren Daumen gleichzeitig ebenfalls hin und her bewegte. Das hat mich fasziniert. ‚Gucken Sie mal, Ihr Daumen ist genau wie die Türklinke‘, habe ich gesagt. Dann habe ich die Klinke noch einmal bewegt und gesagt: ‚Jetzt quietscht es nicht mehr.‘ ‚Ja, und es tut auch nicht mehr weh‘, sagte die Frau und bewegte ihren Daumen hin und her.“