Wertvolle Beratung: Demut

Demut ist ein Begriff, der ganz außer Gebrauch gekommen ist. Früher bedeutete er in etwa: Sich nicht über andere stellen, sich nicht in den Vordergrund rücken, neidlos das Glück anderer betrachten können, sich als Teil von etwas Größerem sehen, Gott und den Menschen, denen sie gebührt, die Ehre geben.

In der Therapie ist dieser Wert von großer Bedeutung: Wenn beispielsweise eine Therapie nicht, wie gewünscht, voran kommt, sind Therapeuten leicht in Versuchung, dem Klienten zu erklären, was er falsch mache. Insgeheim befürchten sie, sie selbst könnten etwas versäumt oder übersehen haben – ausdrücklich aber erklären sie den Klienten das Geschehen mit irgendeinem Modell der „Verdrängung“, „Übertragung“, „Projektion“, „Introjektion“, oder als „Widerstand“, Hauptsache, mit etwas, was im Verantwortungsbereich des Klienten liegt. Möglich wäre es aber auch, offen mitzuteilen, dass man einen anderen Verlauf vermutet hatte, und mit dem Klienten ins Gespräch darüber zu kommen, was zu einer Verbesserung beitragen könnte. Ist ein Klient über irgendein Wort oder Verhalten des Therapeuten gekränkt, kommt der Therapeut leicht in Versuchung, ihm vermitteln, das sei Teil der Therapie, und er habe daran etwas zu lernen. Möglich wäre es aber auch, sich beim Klienten höflich zu entschuldigen, und herauszufinden, wie solche Kränkungen zukünftig vermieden werden können.  

Überhaupt ist es möglich, die Klienten als gleichrangige Gesprächspartner anzusehen, ihre Ziele als maßgeblich für die therapeutische Arbeit anzusehen, und ihre Werte als ein Heiligtum, das nicht verletzt werden darf. Dann bedeutet der „Widerstand“ des Klienten, dass der Therapeut nicht gut genug verstanden und berücksichtigt hat, was die Ziele des Klienten sind und welche Wege dorthin für ihn akzeptabel sind.

Demut bedeutet, dass der Therapeut nicht über den Klienten steht, dass er die Klienten als Fac hleute für ihr eigenes Leben respektiert, dass er von ihnen lernt, dass er ihre Ziele über die seinen stellt und seine Werte nicht gegen ihre ausspielt, also nicht „für sie“ (und dabei womöglich „gegen sie“) weiß, was gut für sie ist.

Demut als Wert in der Therapie bedeutet, nicht zu genau zu wissen, was im Leben eines Klienten los ist, was er „hat“ und braucht. Es kann bedeuten, sich nicht über seine Schwächen zu erheben (und auch nicht über die vermeintlichen Schwächen seiner Eltern, seines Partners, seiner Kollegen, usw.) Demut kann bedeuten, allenfalls provisorisch und niemals abschließend über den Klienten zu urteilen; es kann auch bedeuten, ihm keine Prognose für sein kommendes Leben zu geben, insbesondere keine von der Art: „Dieses Problem wird Sie immer begleiten, damit werden Sie leben müssen.“

Demut kann auch bedeuten, die Therapie in den Dienst von etwas Größerem zu stellen, sei es, um Glück unter die Menschen zu bringen, zur Ehre Gottes oder zu sonst einem Ziel, das die Grenzen des eigenen Lebens überschreitet.

Nachricht eines Klienten

Heute habe ich die folgende Mail bekommen, die mich froh gemacht hat und mich wieder einmal zum Nachdenken bringt.

Sehr geehrter Hr. Hammel,

wie versprochen nochmal Rückmeldung von mir, bezüglich der Weiterbehandlung meiner Erkrankung (Tumor im Oberbauch). Wie ich Ihnen ja schon mitgeteilt habe, hatte sich der Tumor trotz therapeutischer Sitzung bei Ihnen und der Einnahme von Glivec nicht weiter verkleinert und musste am 14.4.09 operativ entfernt werden. Bis zuletzt ging ich (und auch die Ärzte) davon aus, dass in Folge der Resektion des Tumors auch der überwiegende Teil des Magens sowie die Milz entfernt werden müssten.

Während der Operation ergab sich, dass der Tumor lediglich an einer vergleichsweise kleinen Stelle am Magenfundus angewachsen war, so dass 90% des Organs erhalten geblieben sind. Die Milz war kaum befallen und ist auch noch da wo sie hingehört. Der Tumor wurde komplett entfernt (R 0 Resektion).

Endgültige histologische Befunde liege noch nicht vor aber es sieht fast so aus, als ob das gesamte Tumorgewebe abgestorben ist. Möglicherweise seien noch ein oder zwei Stellen im Tumor minimal aktiv gewesen, was zur Folge hat, dass keine weitere medikamentöse Behandlung nötig ist.

Für mich heisst das, ich kann im Grunde so weiterleben wie bisher, genau was ich mir gewünscht habe und was das Grobziel der therapeutischen Sitzungen bei Ihnen war.

Ich führe einen grossen Teil des positiven Verlaufs dieser Geschichte auch auf Ihre Behandlung zurück und danke Ihnen von ganzem Herzen. Bitte verwenden Sie diese Nachricht, wenn möglich, um Werbung für Ihre Arbeit zu machen.
Gott segne Sie.

Mit ergebenstem Dank, hochachtungsvoll

A. L.

Liebe

Manchmal denke ich, die Zeiten für „große Liebe“ sind vorbei. Dann wiederum denke ich, Liebe ist keine Frage der „Zeiten“. Und dann schließlich fällt mir wieder diese eine Szene ein…

Das ist jetzt über 20 Jahre her. Aber ich denke immer wieder daran. Eine Zugfahrt irgendwo in Süddeutschland. Ich saß mit ihnen im gleichen Abteil. Ich hatte Termine, sie hatten Zeit. Zwei verliebte Menschen. Sie schaute ihm in die Augen und lächelte. Er lächelte zurück. „Hättest du mich nicht auf der Parkbank angesprochen“, so sagte er, „dann säße ich jetzt immer noch allein in meinem Altenheim.“

Perspektive im Rückblick

Ein Arzt an meinem Krankenhaus sagte zu mir vor einiger Zeit: „Wenn einige von uns mit zwanzig wüssten, was sie mit vierzig erreicht haben werden…“ seine Schlussfolgerungen waren wenig lebensbejahend. Einige von uns ahnen sehr wohl, dass sie neben Begabung auch Glück und Gesundheit brauchen werden, wenn sie denn ihre Ziele erreichen wollen. Meine Schweizer Kollegin Irmgard Federer sagte: „Nicht mal seinem Feind wünscht man, dass alle seine Wünsche wahr werden“. Auch das ist nachdenkenswert: Sind unsere Ziele geeignet, um unsere Sehnsucht zu erfüllen? Was ist, wenn wir sie erreichen? Und was, wenn wir sie nicht erreichen? War dann unser Leben umsonst?  Am besten gefällt mir, was Sebastian Schwank unter der Überschrift „Perspektive im Rückblick“ dazu geschrieben hat:

Nach kurzem Überlegen sagte er zu mir: „Ich werde zurückblicken können und werde zwar nicht sagen können, dass ich das geschafft habe, was ich mir damals erträumt hatte, aber ich habe geschafft, das zu wollen, was ich jetzt erreicht habe. „Was wolltest du denn“, fragte ich neugierig. „Genau das!“

Webtipp: Das Reich der Möglichkeiten

Ich könnte mir vorstellen, dass diejenigen, die den Film „Validation“ gemocht haben, auch das Video vom „Reich der Möglichkeiten“ schätzen werden. Das ist nun ein ganz anderer Film. Es handelt sich um eine Demonstration des Bostoner Philharmonie-Dirigenten und Cellisten Benjamin Zander, der seine lebensfreundliche Weltanschauung erklärt und sie demonstriert, indem er einen jungen Cellisten unterrichtet. Eine Hommage nicht nur an die Musik, sondern an das Leben und an die Liebe zu den Menschen und zu sich selbst…

Zu finden ist das Video im Blog des systemagazin, das mein geschätzter systemischer Kollege Tom Levold herausgibt.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Anschauen!

Die Fremde

Die Geschichte vom „Antidepressivum“, die ich am Wochenende erzählt habe, hat eine Vorgeschichte, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Ich denke nicht, dass ich mit der Frau aus dem Tessin, mit Gott oder dem Schicksal schon quitt wäre. Ich schulde der Menschheit noch einen Gefallen. Aber ich habe versucht, einen Anfang zu machen…

Im vergangenen Sommer machte ich eine Reise rheinaufwärts durch die Schweiz. Ich war allein und war noch nie in der Gegend gewesen. Ich kannte hier keinen Menschen. An einem späten Abend – es war dunkel, regnerisch und sehr neblig – da fuhr ich, vom Norden her kommend, über den Berninapass. Ich hatte Hunger und hoffte, das Gasthaus auf der Passhöhe würde geöffnet sein. Doch dem war nicht so. Nun fuhr ich in unzähligen Kehrwenden auf der anderen Seite die Passstraße hinunter auf der Suche nach einem gastlichen Plätzchen. Tatsächlich fand ich, noch vor der ersten Ortschaft, ein Gasthaus am Straßenrand. Ich trat ein. Das Personal sprach nur italienisch und wir hatten Mühe, uns zu verständigen. Eine Frau um die Fünfzig bot sich als Übersetzerin an. Sie fragte mich, wer ich sei und woher ich komme, und was mich bei Nacht und Nebel hierher führte. „Sie müssen mit mir einen Sekt trinken… Sie müssen diesen Wein hier probieren… die Rechnung bezahle ich…“ Ich verwies auf den Nebel und die ungesicherte Straße. „Sie sind über den Pass gekommen? Das ist zu gefährlich. Es gibt doch einen Tunnel. Ich erkläre Ihnen, wie Sie fahren. Und jetzt trinken Sie mit mir.“ Nach einer Weile des Gesprächs fragte sie: „Möchten Sie nicht etwas essen?“ Und sie bestellte mir ein dreigängiges Menü. „Möchten Sie noch einen Wein dazu?“ „Vielleicht lieber ein Wasser.“ „Un aqua, per favore.“ Die Wirtsleute diskutierten mit ihr, sie schienen sich in irgendeiner Sache uneinig zu sein. Die Frau bestand darauf, auch das Essen und das Wasser für mich zu bezahlen, und zwar noch, bevor es serviert wurde.

„Sehen Sie“, sagte sie dann zu mir. „Ich will nichts von Ihnen. Sie sind ein sympatischer Mensch. Ich mag Sie. Sie kennen meinen Namen nicht und wissen nicht, wo ich wohne. Ich habe Ihnen keine Karte von mir gegeben. Sie wissen nicht, wer ich bin. Ich werde jetzt gehen. Alles was ich von Ihnen möchte, ist, dass Sie im nächsten Jahr einem Menschen das tun, was ich jetzt getan habe.“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und verließ das Lokal. „Ist Architektin vom Meraner See, sehr reich“, sagten die Wirtsleute mit abschätziger Miene. „Ihr irrt euch“, dachte ich bei mir. „Das Geld ist euer Thema und nicht ihres. Diese Frau hat andere Gründe.“

Der Himmel auf Erden

Ein  Märchen für Perfektionisten, und für Menschen auf der Suche nach Freiheit, Gerechtigkeit, Güte, Wahrhaftigkeit…

Ein Mann und eine Frau saßen am Frühstückstisch. „Liebe Frau“, sagte der Mann, „ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Heute werde ich mich auf eine Reise begeben. Ich gehe den Himmel auf Erden suchen.“ Die Frau verschluckte sich an ihrem Kaffee. „Das ist nicht dein Ernst. Das meinst du gar nicht so. Ja, bist du denn von Sinnen?“
„Ich hatte heute einen Traum, sagte der Mann. Weiterlesen