Webtipp: Das Reich der Möglichkeiten

Ich könnte mir vorstellen, dass diejenigen, die den Film „Validation“ gemocht haben, auch das Video vom „Reich der Möglichkeiten“ schätzen werden. Das ist nun ein ganz anderer Film. Es handelt sich um eine Demonstration des Bostoner Philharmonie-Dirigenten und Cellisten Benjamin Zander, der seine lebensfreundliche Weltanschauung erklärt und sie demonstriert, indem er einen jungen Cellisten unterrichtet. Eine Hommage nicht nur an die Musik, sondern an das Leben und an die Liebe zu den Menschen und zu sich selbst…

Zu finden ist das Video im Blog des systemagazin, das mein geschätzter systemischer Kollege Tom Levold herausgibt.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Anschauen!

Der Lüstling

Vor einiger Zeit war ich bei einer Kollegin zu Besuch. „Ich hab jetzt eine Therapiestunde mit so einem komischen Typen“, sagte sie. „Ich weiß gar nicht, was sein Auftrag an mich ist. Er hat kein richtiges Anliegen und redet immer nur von Frauen. Bleib doch einfach mal bei der Therapiestunde dabei.“ Sie stellte mich dem Mann als einen interessierten Kollegen vor und erbat seine Erlaubnis, dass ich bei der Therapie dabei sein dürfe. Ich saß etwas abseits zwischen den beiden und hörte zu. Der Mann setzte sich seiner Therapeutin gegenüber. Er sah sie sich an, öffnete die Beine betont breit und legte die Hände auf seine Oberschenkel. Die Geste wirkte auf mich machistisch, herablassend und vulgär.

Nach einer Weile des Zuschauens wandte ich mich dem Mann zu, öffnete meine Beine ebenso breit mit Zielrichtung auf ihn,  legte meine Hände auf die Oberschenkel, blickte zwischen seine Beine und stellte mir vor, wie wohl jemand schaut, der ein Begehren für diesen Mann entwickelt.

Nach kurzer Zeit verschränkte der Mann seine Beine, und dabei blieb es für den Rest der Stunde. Wenn die Therapeutin den Effekt in kommenden Stunden wiederholen wollte, bräuchte sie nur auf die Stelle zu deuten, wo ich gesessen hatte und sagen: „Herr Hammel würde Ihnen da jetzt voll und ganz zustimmen. Herr Hammel schätzt Menschen wie Sie und ist der Meinung…“

Antworten, die keine sind…

Mit einer Freundin hatte ich vor einiger Zeit das folgende Gespräch. Ich verwende es seitdem, um eine Methode zu illustrieren, wie sie schimpfende, schreiende, hänselnde, sarkastische oder anderweitig verletzende Menschen zum Schweigen bringen können. Die Freundin begann:

„Vorhin hat mich eine Frau angeschrien, weil ich in ihrer Hofeinfahrt gewendet habe.“ „Was hast du geantwortet?“ „Ich habe gesagt: ‚Ich danke Ihnen, denn Sie haben mich traurig gemacht, und darüber bin ich sehr glücklich.’ Dann bin ich gefahren.“

Meine Nichte wiederum erzählte mir: „Heute habe ich den größten Dummschwätzer der Klasse zum Schweigen gebracht“. Ich fragte: „Wie hast du das gemacht“. Sie sagte: „Ich hab ihm geantwortet: ‚Kauf dir’n Regenschirm.‘ Das hat bisher bei jedem geholfen.“

Ich erzählte diese Geschichte einem Bekannten. er sagte: Ich rufe in diesen Fällen immer: „Vögelchen füttern gehen!“

Der amerikanische Psychiater und Hypnotherapeut Milton Erickson stieß einmal an einer Straßenecke mit einem anderen Mann zusammen. Erickson schaute ihn an, schaute auf seine Uhr und sagte steif: „Es ist exakt 14 Uhr 10“, wobei die wirkliche Uhrzeit eine völlig andere war. Dann ging er wortlos weiter. An der nächsten Straßenecke drehte er sich nochmal um und stellte fest, dass der Mann immer noch erstarrt am selben Platz stand.

In seiner Ausbildung kritisierte ein Chefarzt Erickson vor anderen und ließ ihn schlecht dastehen. „Mögen Sie Schnee?“ fragte Erickson den Chef. Als dieser irritiert reagierte, sagte er: „Ja, diese wunderschönen kleinen Kristalle. Wenn der Schnee getaut ist, kommen die Schneeglöckchen. Ich liebe Schneeglöckchen.“ Dem Chef fiel keine Antwort darauf ein, allerdings hatte er auch vergessen, was er vorher gerade sagen wollte.

In England gab es eine Untersuchung darüber, welche Antworten Bankräuber bei Überfällen mit vorgehaltener Pistole in die Flucht geschlagen haben. Dazu gehörten Äußerungen wie: „Dieser Schalter ist geschlossen. Gehen Sie bitte an Schalter 10“ und „Tut mir leid, ich bin noch in der Ausbildung und darf keine Auszahlungen vornehmen.“

Folien

Eine Frau erzählte mir ihre verwickelte Lebensgeschichte. All ihre Probleme schienen sich gegenseitig zu bedingen und zu verstärken. Ich nahm eine Anzahl Overheadfolien, legte sie übereinander und bat die Frau: „Beschreiben Sie mir, was Sie darauf sehen, und lesen Sie mir die Texte vor.“ „Das geht nicht“, sagte sie. „Dazu müsste ich sie einzeln sehen.“ Ich legte die Folien einzeln vor ihr aus, und sie konnte die Bilder einzeln beschreiben und die Texte vorlesen. „Dann lassen Sie uns jetzt sortieren, welche von Ihren Problemen eine gemeinsame Folie bilden und welche Folien wir unterscheiden können. Dann kann die Therapie beginnen.“ Wir unterschieden verschiedene Schichten und Themen. Als wir mit der Therapie richtig anfangen wollten, waren wir schon halb fertig.

Guten Morgen, mein Dorf!

Das haben mir einige Leute aus einem nordpfälzischen Dorf erzählt. Die eigenen Gerüchte aktiv streuen und sich anschließend über die Schwätzer amüsieren – das ist eine Möglichkeit, aus dem passiven Erleiden von Tratsch in die aktive Position zu kommen.

Er war der Pfarrer eines kleinen Dorfes weit draußen auf dem Land. Ein junger, gut aussehender Pfarrer, und er lebte allein. Die Menschen des Dorfes waren sehr an diesem Umstand interessiert. Eines Morgens stand er auf, öffnete das Fenster, hängte zwei Garnituren Bettwäsche heraus und trank gemütlich seinen Kaffee. Guten Morgen, mein Dorf! Schon hatte er Stoff für die nächste Predigt.

Schießübung

Als ich ein Kind war, hat mir mein Großvater die folgende Geschichte erzählt:

„Zur Vorbereitung auf den Krieg machten wir Schießübungen. Einige Kameraden schossen so oft wie möglich ins Schwarze. Sie kamen an die Front. Die meisten von ihnen starben. Andere Kameraden schossen absichtlich daneben. Sie überlebten den Krieg.“

Ich erzähle die Geschichte manchmal Leuten, die sich durch ihr berufliches Engagement möglicherweise selber schaden. Man kann sie auch Menschen erzählen, die sich ritzen, und ebenso Leuten, die auf andere Art sich oder andere verletzen – körperlich oder seelisch. Dann enthält die Geschichte die Aufforderung an das Unbewusste, die längst bestehende Ambivalenz zwischen Verletzen und Nicht-Verletzen so zu regeln, dass man – wenn überhaupt – nur dem Anschein nach verletzt, ohne die Absicht zu verfolgen, zu treffen. In einigen Mobbingsituationen ergibt die Geschichte ebenfalls viel Sinn.

Aktuelle Seminare

Von Mittwoch bis Freitag halte ich auf Burg Fürsteneck bei Fulda (Hessen) das Seminar:

Wenn die Bilder laufen lernen – Hypnosystemische Metaphernarbeit, oder: „Das Leben als Film. Wie innere Bilder uns bestimmen – und wir sie.“ Das Seminar ist Teil der Systemischen Coaching-Intensivausbildung, die ich gemeinsam mit der Akademie Burg Fürsteneck und dem Institut für Systemische Beratung (ISB) Mainz durchführe.

Am Wochenende halte ich das dritte Seminar der Ausbildungsreihe „Hypnotherapie nach Milton Erickson“ in Otterberg. Dieses Mal haben wir zwei Live-Therapien mit Probanden zum Thema Migräne und zu Prüfungsangst. Letztes Mal hatten wir jeweils anderthalb Stunden mit Probanden zu Rauchentwöhnung und zu Gedächtnistraining. Man kann also sehr praktisch sehen und anschließend auswerten, wie Therapie mit Hypnose funktioniert. Der Grundkurs dauert 25 Tage und ist ausgesprochen übungsorientiert. Meines Wissens ist es in Deutschland die einzige Hypnotherapieausbildung im Bereich von Hypnosystemik bzw. Erickson’scher Hypnose, die für Angehörige aller heilenden, pflegenden und beratenden Berufe offen ist.

Weitere Seminare halte ich beim Milton-Erickson-Institut Heidelberg (Gunther Schmidt), beim ICHP in Mannheim (Institute of Clinical Hypnotherapy and Psychotherapy) sowie im Raum Bad Kreuznach und Bingen. Das Letztgenannte sind Seminare für Ärzte, die ich gemeinsam mit einem Arzt (Eugen Schippers) und einem Steuerberater und Betriebswirt (Patrick Weber) halte zur Frage: Wie gründe ich eine Privatpraxis?

Wer neugierig ist, schreibt mir am besten unter stefan.hammel@hsb-westpfalz.de.

Der König des Waldes

Die folgende Geschichte erzähle ich gerne Perfektionisten, Leuten mit Zwangsproblemen, mit einem starken Kontrollbedürfnis, Denkern und Grüblern. Auch für einige Menschen mit sexuellen Schwierigkeiten ist sie gut geeignet.

„Wir sind zu viele geworden“, sagten einst die Bäume des Waldes. „Wir brauchen einen, der über uns herrscht. Wir brauchen einen, der uns sagt, wo wir wachsen sollen und wie wir unsere Zweige ausbilden sollen. Wir brauchen einen, der uns sagt, wann wir im Frühjahr Knospen austreiben lassen und wann wir im Herbst das Laub bunt färben.“ Und sie wählten eine alte Eiche zu ihrem König. Obwohl nun Bäume recht langsam wachsen, hatte der König viel zu tun. Er musste jedem Baum sagen, wohin er welchen Ast wachsen lassen und wann welches Blatt entrollen sollte. Er musste entscheiden, wer wie viel Wasser aus dem Boden entziehen durfte, und – was noch schwieriger war – wer wie viele Nährstoffe zu sich nehmen durfte. Nach kürzester Zeit begann der ganze Wald unter Pilzen und Parasiten zu leiden, ein Teil trocknete ein und ein anderer litt an der Wurzelfäule. Die Bäume begannen aufeinander zu schimpfen und zu streiten. Der König beschimpfte sein Volk als ungehorsam, das Volk den König als unfähig und sie alle einander als Dummköpfe und gemeine Schurken.
An einem schönen Julitag – das Laub begann gerade zu fallen – dankte der König ab. Da waren alle Bäume froh. Sie feierten ein großes Fest. Und von Tag zu Tag wurde es besser mit ihnen.

Ausbrüche

Ich bin es gewohnt, bei allem, was mir widerfährt und nicht gefällt, zu fragen: „Wofür kann ich das denn immerhin noch nutzen?“ Nun hatte ich vor einiger Zeit eine Magen-Darmgrippe. Ich wachte morgens auf und wusste: Es war nur eine Frage der Zeit, und ich würde mich übergeben. Mehrmals wahrscheinlich, vielleicht viele Male. Nun also: Wofür kann ich das noch nutzen? Ich widmete jeden Gang zum Bad einer Erfahrung, einer Zeit, einer Person, die mich verletzt hatte. Es waren kraftvolle, befreiende Ausbrüche, die mir in ausgezeichneter Erinnerung geblieben sind.

Keine Zeit

„Die Zeit verweilt lange genug für denjenigen, der sie nutzen will“, sagte Leonardo da Vinci.

Wenn wir sagen: „Ich habe keine Zeit“, heißt das meistens, dass wir unsere Prioritäten anders gesetzt haben. Wir haben – meistens mit guten Gründen – lieber Zeit für anderes.

Wenn wir sagen, dass wir „unter Zeitdruck stehen“ kann das bedeuten, dass wir uns selbst unter Druck setzen, um einen bestimmten Grad an Qualität oder Sicherheit zu erreichen, oder dass wir uns unter Druck setzen lassen, Unmögliches zu erreichen, oder, dass wir über den Tag und über die Monate hinweg eine Verteilung von schnellem und langsamem Arbeiten kultiviert haben, die zwischen Trödeln und Hetzen alterniert.

Zu sagen, „Ich habe keine Zeit“, kann auch bedeuten: „Ich habe zu viele Wahlmöglichkeiten, um alles zu tun, was ich tun möchte.“ Zeitarmut offenbart sich dann als Möglichkeitsreichtum.

Und schließlich ist „keine Zeit haben“ auch eine Möglichkeit, um für sich selbst soziale Wichtigkeit zu kreieren oder zu simulieren. Wer „keine Zeit hat“, wird schließlich gebraucht.

Wir haben alle gleich viel Zeit: 365 Tage im Jahr zu 24 Stunden. Unsere Lebensdauer unterscheidet sich. Aber davon reden wir nicht, wenn wir vermeinen, keine Zeit zu haben, wir wissen schließlich nicht, wie lange wir noch leben.

„Ich habe keine Zeit“ bedeutet also: „Ich habe andere Prioritäten“, „Ich bin gerade in der Hetzphase zwischen zwei Trödelphasen“, „Ich versuche, es allen Leuten recht zu machen“, „Nur Vollkommenes ist mir gut genug“, „Ich habe zu viele Möglichkeiten, meine Zeit zu gebrauchen“, „Ich möchte wichtig sein“ oder „Ich muss über den Gebrauch meiner Zeit noch einmal nachdenken“.

Euch allen eine erfüllte und manchmal vertrödelte Zeit!