„Ich könnte jederzeit aufhören, zu rauchen“, sagte sie. „Was du könntest, ist für die Wirklichkeit ja ohne Belang“, gab er zu bedenken. Sie zögerte. „Morgen höre ich auf zu rauchen“, sagte sie dann. „Wenn du mir sagst, womit du anfängst, wenn du aufhörst, glaube ich dir“, erwiderte er. „Ich fange an mit Nicht-Rauchen.“ „Mich interessiert nicht, was du anfängst, nicht zu tun. Mich interessiert, was du anfängst, zu tun.“ „Ich fange an, mich selbst zu lieben für meine weiche Haut, für meine Willenskraft, für meine neu gewonnene Freiheit, für meinen Geruchs- und Geschmackssinn und für die Aussicht auf ein langes und gesundes Leben. Genügt dir das?“ „Ich glaube, es wird dir genügen.“
Archiv des Autors: Stefan Hammel
Was ist Utilisation?
Utilisation nennt man meist die Nutzung der Problemstrukturen durch den Berater als Ressource für eine Lösung.
In der klassischen systemischen Beratung knüpfen Interventionen wie z.B. Rituale oft bei den Problemsymptomen an, fordern vorläufig „mehr desselben“ oder verändern diese und nutzen sie als Ressource. Milton Erickson, der Begründer der modernen Hypnotherapie nutzte die verhasste Zahnlücke einer Klientin, indem er die Frau anwies, sie als Wasserspritze zu nutzen, um am öffentlichen Trinkbrunnen einen Verehrer zu gewinnen. Trotz wird als Selbständigkeit gelobt und verschrieben. Ein wiederkehrender Streit wird mit verfremdenden Elementen – z.B. gelbe und rote Karte – zum Ritual erhoben. Weiterlesen
Anton
Ich habe Anton beerdigt.
Als Anton zwanzig war, bereiste er die Welt. Am liebsten besuchte er Frankreich. Seine Frau und die Kinder ließ er zuhause. Wenn er in der Heimat war, trieb er sich am liebsten in Gaststätten herum. Bier und Zigaretten waren ihm wichtiger als seine beiden Töchter.
Als Anton zweiundzwanzig war, wurde er geschieden. Seinen Unterhaltsverpflichtungen kam er nicht nach. Er vertrank sein Geld.
Als Anton sechsundzwanzig war, sah er seine Töchter zum letzten Mal. Seine ehemalige Frau verbot ihnen ab da jeden weiteren Kontakt.
Als Anton fünfundfünfzig war, hatte er einen Freund, der das Geld, das er verdiente, für ihn verwaltete und das meiste für sich selbst behielt. Außerhalb der Arbeitszeit war er meistens besoffen. Solange das Geld für Alkohol und Zigaretten reichte, sei er zufrieden, sagte er.
Als Anton einundsechzig war, hörte er auf zu trinken. Das war die Zeit, als er Frieda kennen lernte. Anton verehrte Frieda. Frieda hatte ihr ganzes Leben in einem kleinen Haus auf dem Lande verbracht und sich nie in ihrem Leben für Alkohol interessiert. Weiterlesen
Realmetaphern: Kühlschränke und Jericho-Rosen
Heute habe ich eine Anfrage zum Thema Sexualtherapie bekommen. Diese Frau hatte es beeindruckt, dass Erickson „einer Frau zum Orgasmus verhalf, indem er sie einen Kühlschrank abtauen ließ“.
Klienten, die in ihrem Leben eine Wende zu vollziehen hatten, schickte Erickson auf einen nahen Berg, den Squaw Peak, sie sollten sich dort den Sonnenaufgang anschauen. Einen chronischen Alkoholiker schickte er in den Botanischen Garten von Phoenix, Arizona, er solle sich dort „Pflanzen anschauen, die 50 Jahre ohne Wasser auskommen“. Zehn Jahre hörte er nichts mehr von dem Mann; dann rief dessen Tochter an, sie wolle gerne einmal denjenigen kennenlernen, der ihren Vater vom Alkohol befreit habe, indem er ihn Kakteen-gucken geschickt habe.
Ich habe diese Methodik ausprobiert; sie braucht natürlich einen Klienten, der tatsächlich trocken werden will und der bereit ist, etwas dafür zu tun. Ich habe dem Klienten zum Abschied eine vertrocknete Pflanze in die Hand gedrückt und ihm gesagt: Weiterlesen
Wer leben will
In der Klinik, in der ich arbeite, treffe ich Patienten, die hoffen, zu sterben, obwohl sie relativ gesund sind. Oder sie hoffen, von einer Operation nicht mehr aufzuwachen, oder sie bitten mich, sie zu töten.
Ich treffe andere Patienten, die versuchen mit aller Kraft, zu überleben, obwohl dies nach ärztlichem Ermessen ausgeschlossen scheint. Oder sie versuchen, ihr Leben noch ein wenig zu verlängern, obwohl sie unter Schmerzen leiden und keine Aussicht auf Verbesserung haben.
Immer wieder treffe ich todunglückliche Fastgesunde und lebensvolle Baldsterbende. Der Unterschied ist der: Die aus der ersten Gruppe haben niemanden, der sich um sie kümmert. Die aus der zweiten Kategorie haben Partner, Kinder, Enkel und Freunde, die sich liebevoll um sie kümmern.
Wer leben will, will für jemanden leben.
Beim ersten Furz
Meine Mutter, seit vielen Jahren glücklich verheiratet, redete gestern über Verliebtheit als Grundlage einer Partnerschaft. Sie sagte: „Beim ersten Furz ist das vorbei“. Doch hat auch sie einmal überglücklich angefangen. Die Verliebtheit ist gegangen, der Alltag ist geblieben – und etwas, was die einen Gewohnheit, die anderen Liebe nennen.
Der Blödmann
„Ist es noch da?“, habe ich vorhin meine 14-jährige Nichte gefragt. „Was?“ wollte sie wissen. „Wenn du nicht weißt was, dann ist es nicht mehr da.“ „Du meinst, mein Kopfweh? Das habe ich dem Blödmann gegeben. Der kann damit was anfangen.“ „Wer ist das?“ fragte ich. „Das weiß ich nicht. Ich kenne ihn erst seit eben.“ „Und jetzt ist es weg?“ „Ja.“ „Du könntest den Blödmann bitten, dir dafür etwas anderes zu geben, was du brauchen kannst“, habe ich vorgeschlagen. „Nein“, sagte sie. „Der Blödmann gibt nicht. Der Blödmann nimmt nur.“
Später sah ich sie einen Mückenstich mit dem Kugelschreiber ausstreichen*. „Warum hast du den nicht dem Blödmann gegeben?“ fragte ich. „Der Blödmann nimmt nur manche Sachen“, erklärte sie. „Mückenstiche sind nicht dabei.“
*Vom Ausstreichen von Stichen handelt der Beitrag vom 27. Mai.
Kein Mensch hat Eigenschaften.
Gestern war ich in einem Geschäft in der Stadt einkaufen. Die Verkäuferin war allein im Laden, und das Wechselgeld ging ihr aus. Wir kannten uns nicht, hatten aber vor dem Bezahlen eine Zeitlang geplaudert. Nun drückte sie mir einen 50-Euro-Schein in die Hand und sagte: „Darf ich Sie bitten, den gerade im Elektrogeschäft nebenan für mich zu wechseln?“
Nun fragte ich mich: Ist die Frau verantwortungslos, unachtsam, naiv, ist sie menschenkundig, vertrauensvoll oder herzlich und unkonventionell, dass sie einen fremden Mann mit 50 Euro aus ihrer Kasse auf die Straße schickt? Weiterlesen
Die Kleider von gestern
„Nach einem 24-Stunden-Dienst komme ich nach Hause“, hat gestern eine OP-Schwester erzählt, „und meine Kleidung passt überhaupt nicht mehr zum Wetter. Ich laufe in einem kurzärmeligen dünnen Kleid durch den strömenden Regen. Die Leute auf der Straße schauen mich dann an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.“
Das Verhalten von Menschen macht meistens Sinn in dem Kontext, dem es entstammt. Wenn wir als Beobachtende diesen Kontext nicht kennen, beurteilen wir das Verhalten anderer Menschen als sinnlos. Es erscheint uns verrückt, dumm oder böse. In vielen Fällen würde eine kurze Nachfrage genügen, um die Situation aufzuklären. Wo das nicht möglich ist, scheint es mir sinnvoll, dem seltsamen Verhalten anderer Menschen einen Sinn zu unterstellen, den wir mangels Information noch nicht kennen.
Der beschnittene Baum
Heute habe ich im Krankenhaus einen Mann aus Russland getroffen. Man hat ihm operativ den Kehlkopf entfernt. Sein Sohn hat ihm ein Bild gemalt von einem Apfelbaum mit roten Früchten. Auf dem Bild stand in großen Buchstaben zu lesen: „Der Baum wurde beschnitten. Jetzt trägt er viele gute Früchte. Lieber Vater, Ihre Stimme war uns wichtig. Aber Sie selbst sind uns sehr viel wichtiger!“