Lesenswert: Handbook of Hypnotic Suggestions

Das hier ist der drittletzte Beitrag meiner Reihe zu Geschichten- sammlungen für Berater…

Corydon Hammond’s „Handbook of Hypnotic Suggestions and Metaphors“ ist die beste und umfangreichste Sammlung hypnotischer Verfahren auf dem Markt. Da gibt es für mich keine Diskussion. Da müsste mir jemand erstmal etwas Besseres nennen. Das ist eine Enzyklopädie mit Hypnose-Skripten zu gesundheitlichen, psychologischen, sozialen und beruflichen Zielsetzungen. Ein phantastisches Nachschlagewerk: Ob Daumenlutschen oder Nagelbeißen, tropfende oder trockene Nase, Haarereißen, Tourette-Syndrom, Tinnitus, Heuschnupfen oder Asthma, es steht was drin. Ob es um mathematische Referate geht, um sportliches Mentaltraining oder um künstlerische Verfeinerung – da steht’s geschrieben. Ob Sexualstörungen oder Deprogrammierung gehirngewaschener Sektenaussteiger, das Buch liefert Ideen. Auch zu suggestiven Grundmethoden, unabhängig von allen spezifischen Fragen, ist ein großer Abschnitt vorhanden.

Der einzige Haken ist, dass das Buch auf Englisch geschrieben und nicht in deutscher Übersetzung erhältlich ist. Ob’s aber ein Nachteil ist? Bis ich nämlich ein Hypnoseskript schriftlich übersetzt habe, habe ich es auch schon verinnerlicht und viele Ideen zu seiner individuellen Umsetzung gewonnen.

Nochmal: Für Hypnotherapeuten, die auf lange Zeit hin ihre Fähigkeiten erweitern möchten, ist dieses Buch das beste, was es gibt. Und wahrscheinlich auch für manche, die sich privat für Hypnose interessieren, äußerst spannend zum Stöbern!

D. Corydon Hammond (ed.), Handbook of Hypnotic Suggestions and Metaphors.
New York, London (Norton) 1990

Lesenswert: Metaphern für Führungskräfte

Das ist der viertletzte Buchtipp zu Geschichtensammlungen für Beratung und Therapie. Ein paar schöne Sammlungen kommen noch. Die Reihe geht bis Montag. Danach wieder wöchentlich, wie vorher.

Das Buch von Matthias Nöllke heißt mit vollem Titel „Anekdoten, Geschichten, Metaphern für Führungskräfte. Nach einer Einleitung, dier erklärt, warum und wie erzählte Geschichten im Alltag von Organisationen nützlich werden können, wird eine große Sammlung von Ultrakurzgeschichten aus den verschiedensten Hintergründen angeboten. Die 400-seitige Sammlung ist gegliedert nach Zielgruppen („die Führungspersönlichkeit“, „die Mitarbeiter“, „die Organisation“) und Grundthemen („Betriebsklima“ „Mitarbeiter informieren“, „Perfektionismus“). Die Geschichten sind mit Schlagworten und mit einer kurzen Erklärung versehen, aus der deutlich wird, in welchen Zusammenhängen die Geschichte nutzbringend eingesetzt werden kann. Eine CD-ROM mit den Texten und einer Suchfunktion wird mitgeliefert.

Gut geschrieben, konzentriert, anwendungsbezogen, gut zum Auffinden von Geschichten!

Matthias Nöllke, Anekdoten, Metaphern, Geschichten für Führungskräfte.
Freiburg, Berlin, München (Haufe) 2002

Lesenswert: Der Kaufmann und der Papagei

„Der Kaufmann und der Papagei: Orientalische Geschichten in der Positiven Psychotherapie“ – Das Buch ist schon ein Klassiker. Man hat Nossrat Peseschkian vorgeworfen, seine Sammlung orientalischer Geschichten bestehe nicht durchweg aus echten Märchen, er habe viel mehr die, die er gerade brauchte, nachträglich dazuerfunden. Wenn aber ein Orientale Märchen erfindet, so frage ich mich, was sind sie dann, wenn nicht orientalische Märchen? Peseschkian demonstriert, wie die Orientalen seit Jahrtausenden Pädagogik, Beratung und Therapie betreiben – mit Geschichten.

Nossrat Peseschkian, Der Kaufmann und der Papagei: Orientalische Geschichten in der Positiven Psychotherapie.
Frankfurt (Fischer) 2003

Lesenswert: 1001 Nacht

Er konnte sich nicht enthalten, laut auszurufen: „Lieber Gott, warum können die einen in Lust und Freude leben, während sich die anderen mühevoll durchs Leben schlagen müssen? Was hat Sindbad der Seefahrer getan, dass er ohne Mühe und Sorgen leben darf? Was aber habe ich verbrochen, dass du mein Schicksal so mühevoll und freudlos gestaltest?“ Während Sindbad, der Lastträger noch mit seinem Schicksal haderte, kam einer der Diener auf ihn zu. Er ergriff ihn heftig beim Arm und sagte: „Komm sofort mit! Sindbad, mein Gebieter, will dich sprechen!“ Der Lastträger folgte dem Diener in einen großen Saal. Da war Sindbad der Seefahrer. „Sei mir willkommen“, erwiderte der Greis. „Nun wiederhole mir die Worte, die du vorhin auf der Straße sagtest.“ Er hatte nämlich durch das offene Fenster die Worte des Lastträgers gehört…

Wer lernen will, mit Geschichten zu beraten, zu erziehen oder zu therapieren, kann von der orientalischen Erzählkunst viel lernen. Zum einen, wie man suggestive Prozesse so unterhaltsam gestaltet, dass die Hörer vergessen, dass sie beeinflusst werden – und am Ende wohl gar therapiert.

Der einführende Erzählabschnitt kann in der Beratung überall dort genutzt werden, wo Neid auf andere und Hader mit der eigenen Biographie eine Rolle spielen. Sindbad der Seefahrer wird Sindbad dem Lastträger erzählen, welche Mühen und Gefahren er ausgestanden hat, bevor er seinen Lebensabend in Reichtum genießen konnte. Und die beiden Sindbads – die ja womöglich zwei Figuren einer inneren „Familie“ sind, oder auch zwei widerstreitende Stimmen eines inneren Parlaments – die können etwas voneinander lernen. Man muss nur miteinander ins Gespräch kommen, respektive mit sich selbst und seinen vielerlei Ichs.

Die Märchen aus 1001 Nacht sind die klassische Sammlung orientalischer Erzählkunst in Europa. Ob man mit solchen Märchen Therapie machen kann? Natürlich kann man. Sie sind entstanden als Worte von Weisen. Sie waren von Anfang an Beratung, Therapie und Erziehung zur Lebenskunst.

Darum empfehle ich:

Märchen aus 1001 Nacht

Und natürlich gibt’s das auch als Hörbuch:

Lesenswert: Der Findefuchs

Irina Korschunow hat das Kinderbuch geschrieben, ich glaube vor allem für Patchwork-, Stief- und Adoptivkinder und für die Geschwister von Adoptivkindern. Es heißt „Der Findefuchs – Wie der kleine Fuchs eine Mutter bekam“. Es ist, ehrlich gesagt, auch eine Geschichte für Erwachsene, eine, die ans Herz geht. Sie ist ganz kurz; man kann sie gut am Anfang oder Schluss einer Kindertherapiestunde vorlesen. Sie ist auch geeignet, um Pflegeeltern Mut zu machen im Kampf mit nervigen Behörden, Verwandten, Nachbarn und im Umgang mit Streitigkeiten zwischen den untereinander nicht verwandten Kindern. Die Erzählung stärkt das Empfinden für Zusammengehörigkeit bei Kindern und zeigt, dass Liebe zu einem Kind nicht unbedingt an Blutsverwandtschaft gebunden ist.

Die Geschichte geht so: Eine Füchsin findet ein verlassenes Fuchskind im Gebüsch und trägt es unter vielen Gefahren in ihren Fuchsbau zu ihren drei eigenen Fuchskindern. Die Nachbarfüchsin rät ihr, das Kind wieder auszusetzen. Als die Füchsin am nächsten Tag ihre vier Kinder beschnüffelt, kann sie den Findefuchs nicht mehr herausschnüffeln. Er riecht schon genauso wie die anderen.

Ein ausgezeichnetes Buch mit sehr schönen Bildern!

Irina Koschunow, Der Findefuchs: Wie der kleine Fuchs eine Mutter bekam. Mit Bildern von Reinhard Michl
München (dtv) 1982

Lesenswert: 75 Fabeln für Zeitgenossen

Das Buch von James Thurber „75 Fabeln für Zeitgenossen“ ist schon 40 Jahre alt, also für einige von uns schon gar nicht mehr so zeitgenössisch. Aber zum Glück veralten Fabeln nie. Zeitgenössisch an Thurbers zeitgenössischen Fabeln ist auch eher die moderne, leichte, heitere Sprache, die dazu beigetragen hat, Thurber und seine Fabeln bekannt zu machen. Charakteristisch ist sein englischer Humor; viele Fabeln sind schwarzes, etwa nach dem Motto: „Always look on the bright side of life“. Gerade deshalb eignen sie sich als humorvoll „warnende Metaphern“ (ein Ausdruck von Bandler und Grinder). Obwohl unter den Fabeln eine „Moral“ steht, wirkt das Buch nicht „moralisch“, eher führt es ein in die Kunst des Überlebens – als Schaf unter Wölfen, oder auch als Fliege…

Eine große Spinne hatte in einem alten Haus ein schönes Netz gewoben, um Fliegen zu fangen. Jedesmal, wenn eine Fliege sich auf dem Netz niederließ und darin hängenblieb, verzehrte die Spinne sie schleunigst, damit andere Fliegen, die vorbeikamen, denken sollten, das Netz sei ein sicherer und gemütlicher Platz. Eines Tages schwirrte eine ziemlich intelligente Fliege so lange um das Netz herum, ohne es zu berühren, daß die Spinne schließlich hervorkroch und sagte: „Komm, ruh dich ein bißchen bei mir aus.“ Aber die Fliege ließ sich nicht übertölpeln. „Ich setze mich nur an Stellen, wo ich andere Fliegen sehe“, antwortete sie, „und ich sehe bei dir keine anderen Fliegen.“ Damit flog sie weiter, bis sie an eine Stelle kam, wo sehr viele Fliegen saßen. Sie wollte sich gerade zu ihnen gesellen, als eine Biene ihr zurief: „Halt, du Idiot, hier ist Fliegenleim. Alle diese Fliegen sitzen rettungslos fest.“ „Red keinen Unsinn“, sagte die Fliege. „Sie tanzen doch.“ Damit ließ sie sich nieder und blieb auf dem Fliegenleim kleben wie all die anderen Fliegen. (S.8)

James Thurber, 75 Fabeln für Zeitgenossen.
Hamburg (Rowohlt) 1967

Lesenswert: Die Geschichten vom Verlorenen…

Im 15. Kapitel des Lukasevangeliums stehen drei sehr eindrucksvolle therapeutische Geschichten. Sie handeln von verlorenen und wiedergefundenen Schafen, Groschen und Söhnen.

Die Geschichte vom Schaf, das ein Hirte verloren, gesucht und wiedergefunden hat, kann man gut Kindern erzählen in einem Adoptiv- oder Patchworkkontext, in einer getrennten Familie, oder wo es um das Sterben eines Familienangehörigen geht. Sie vermittelt ein starkes Gefühl von eingebunden und aufgehoben sein, in Krisen beschützt werden, wertvoll und geliebt sein.

Die Geschichte vom Groschen, den eine arme Frau verloren, gesucht und wiedergefunden hat, kann man beispielsweise Kindern mit knappem Taschengeld erzählen, um zu sagen: Ich glaube, du bist für deinen abwesenden Vater (oder gestorbenen Opa) viel wertvoller als alles Geld der Welt.

Die dritte Geschichte handelt von zwei Brüdern. Der eine ist pubertätsfrei brav und macht seinem Vater wenig Scherereien. Der andere liebt Abenteuer, ruiniert sich, schadet seiner Familie und sucht schließlich den Rückweg in ein normales Leben. Anschließend werden die Interaktionen in der Familie beobachtet – mit überraschenden Ergebnissen. Diese Geschichte hat ein Berater Drogenabhängigen vorgelesen, die zu ihm kamen. Er hat nicht gesagt, woher die Geschichte kommt, er hat sie nur vorgelesen. Danach war eine ehrliche Gesprächsbasis da. Einige haben geweint. Die Geschichte fasst die ganze Sch… eines versauten Lebens zusammen und die Sehnsucht nach Liebe, die am Ende bleibt.

Die Geschichte vom verlorenen Schaf ist für mich der Ausgangspunkt des Geschichtenerzählens überhaupt gewesen. Mein Großvater hat sie mir viele Male erzählt. Ich wollte sie immer wieder hören. Vielleicht, weil wir beide Hammel hießen, wahrscheinlich aber, weil ich mich verloren gefühlt habe und mir die Geschichte Kraft gegeben hat. Sie geht so:

Stellt euch vor, einer von euch hat hundert Schafe und eines davon verläuft sich. Lässt er dann nicht die neunundneunzig allein in der Steppe weitergrasen und sucht das verlorene so lange, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, dann freut er sich, nimmt es auf die Schultern und trägt es nach Hause. Dort ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Schaf wiedergefunden! (Lukas 15,4-6. Die Gute Nachricht Bibel)

Alle drei Geschichten sind gut geeignet beim Thema ADS und ADHS. Am besten baut man die Geschichte blumig und dornig aus und erzählt, wo der Hirte überall gesucht und gerufen hat, bis er irgendwo im Dickicht ein verzagtes „Mäh“ gehört hat.

Wer die Geschichten von Schafen, Groschen und Leuten anderen vorliest, nimmt eine moderne Übersetzung und gegebenenfalls eine Kinderbibel. Lukas ist das dritte Buch im Neuen Testament.

Gute Nachricht Bibel
Stuttgart (Deutsche Bibelgesellschaft) 2006

Lesenswert: Das Hohelied Salomos

„Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist köstlicher als Wein.“ So beginnt das Hohelied Salomos.

Unter Beratungsgesichtspunkten eignet es sich für die Sexualtherapie, für die Paartherapie und für die Arbeit mit Singles auf Partnersuche. Nützlich könnte das Buch auch sein in der Therapie mit sexuellen Gewalttätern sowie in der Arbeit mit Opfern sexueller Gewalt. Das Ganze ist ziemlich erotisch… Und die Dinge, die da beschrieben sind, werden auf eine so sensible Art in Bilder gebracht – wunderbar!

Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle haben sie Zwillinge, und keines unter ihnen ist unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, an der tausend Schilde hangen, lauter Schilde der Starken. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden. Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will ich zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist wunderbar schön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir. (Hsld 4,1-7)

Das Hohelied Salomos steht im Alten Testament der Bibel, kurz nach den Psalmen, die sich bei den meisten Bibelausgaben exakt in der Mitte befinden. Lesen sollte man dieses Buch in einer Übersetzung nach Martin Luther, weil diese anerkanntermaßen die einzige ist, die literarisch wertvoll ist und die Poesie des Hohenliedes entfaltet.

Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, ohne Apokryphen, neue Rechtschreibung, schwarz (Nr.1101)
Stuttgart (Deutsche Bibelgesellschaft) 1984

Lesenswert: Jüdische Witze

„Reb Koppel ist gestorben. Gehst du zu seinem Begräbnis?“ „Warum sollte ich? Wird er zu meinem Begräbnis kommen?“

Das Buch von Salcia Landmann ist der Klassiker im Bereich jüdischer Witze. Das ganze Genre zeichnet sich ja durch virtuose Logik und Antilogik aus, also durch eine Art kommunikative Artisitik. Landmann, der die jüdische Witzkultur auch wissenschaftlich untersucht hat, ordnet die zahlreichen Miniaturen. Von den 273 eng bedruckten Seiten sind rund 40 einer kleinen Einführung in die Geschichte und Logik jüdischer Witze gewidmet. Für mich ist das Buch letztlich weniger ein Witzbuch. Es ist eine Schule für geistreiche Kommunikation und Beratung!

Salcia Landmann, Jüdische Witze
München (dtv) 1997

Lesenswert: Der Rabbi hat immer recht

Das Büchlein von Rabbi Nilton Bonder „Der Rabbi hat immer recht – Die Kunst, Probleme zu lösen“ gibt eine verständliche Einführung in rabbinische Logik. Das heißt, jüdische Anekdoten und Witze werden philosophisch fundiert interpretiert und in einem Gesamtzusammenhang des rabbinischen Denkens dargestellt. Systematisch werden die verschiedenen Fragetechniken und Neudeutungen (Reframings) der Realität unter die Lupe genommen. Die Geschichten, die er erzählt, sind köstlich. Gedacht ist das Buch aber wahrscheinlich nicht als Geschichtensammlung, sondern als methodischer Leitfaden, wie man in jeder erdenklichen Lebens- und Beratungslage zu hilfreichen neuen Sichtweisen kommt. Besonders für Freunde von Beratungstechniken, von brillianter Lösungsfindung, von verständlicher Philosophie, und von jüdischem Denken!

Rabbi Nilton Bonder, Der Rabbi hat immer recht: Die Kunst, Probleme zu lösen
Zürich, München (Pendo) 2001