Die Brille

Heute Nacht hatte ich einen Traum.

Mein linker Brillenbügel war verbogen und ich wollte ihn reparieren, damit die Brille wieder gut sitzt. Ich habe ihn zweimal hin und her gebogen – und dann war er ab. Ich habe ihn an die Brille gehalten. Er war am Scharnier abgebrochen. Reparieren ließ sich das nicht mehr. Was tun? Ich habe die Brille angezogen, in der Hoffnung, dass sie noch einigermaßen sitzt. Aber sie hing mir schräg auf dem Gesicht. Der Blick durch die Gläser war verzerrt, und ungemütlich war es auch. Man musste sie ständig festhalten. Der Optiker hat sonntags zu. Was ist in einem solchen Fall die beste Lösung? Ich dachte nach.

Da fiel mir ein: Ich habe mir vor über einem halben Jahr die Augen gegen Kurzsichtigkeit lasern lassen. Warum trage ich denn diese doofe Brille überhaupt noch? Und ging ohne weiter.

Der Grund, warum Metaphern in der Beratung so eine unglaubliche Wirkung haben, ist der, weil unser Unbewusstes in Metaphern organisiert ist: Unsere Träume sind Metaphern. Selbst die Rituale der Tiere beim Balzen und beim Klären von Rangordnungen sind Metaphern. Bevor wir in Sprache gedacht haben, haben wir in Metaphern gedacht. Darum haben die Propheten und Weisen aller Zeiten Geschichten erzählt. Und dieser Traum wird mir Anlass geben, mir die Brille anzuschauen, durch die ich meine Welt betrachte. Diesmal werde ich mich nicht mit Reparieren aufhalten.

Lesenswert: Das Hohelied Salomos

„Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist köstlicher als Wein.“ So beginnt das Hohelied Salomos.

Unter Beratungsgesichtspunkten eignet es sich für die Sexualtherapie, für die Paartherapie und für die Arbeit mit Singles auf Partnersuche. Nützlich könnte das Buch auch sein in der Therapie mit sexuellen Gewalttätern sowie in der Arbeit mit Opfern sexueller Gewalt. Das Ganze ist ziemlich erotisch… Und die Dinge, die da beschrieben sind, werden auf eine so sensible Art in Bilder gebracht – wunderbar!

Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle haben sie Zwillinge, und keines unter ihnen ist unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, an der tausend Schilde hangen, lauter Schilde der Starken. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden. Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will ich zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist wunderbar schön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir. (Hsld 4,1-7)

Das Hohelied Salomos steht im Alten Testament der Bibel, kurz nach den Psalmen, die sich bei den meisten Bibelausgaben exakt in der Mitte befinden. Lesen sollte man dieses Buch in einer Übersetzung nach Martin Luther, weil diese anerkanntermaßen die einzige ist, die literarisch wertvoll ist und die Poesie des Hohenliedes entfaltet.

Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, ohne Apokryphen, neue Rechtschreibung, schwarz (Nr.1101)
Stuttgart (Deutsche Bibelgesellschaft) 1984

Der Geschichtenerzähler (X)

Es kommt, wie es kommen muss, die zehnte und letzte Folge…

„So erzähle doch du uns eine Geschichte, wie sie der Meister dich gelehrt hat“, sagten die Leute. „Wenn ihr es wünscht“, sprach der Schüler.

„Es wird Zeit, dass du erwachsen wirst“, sagte die Mutter und gab ihrem Sohn einen Löffel Brei. „Was ist das, ‚erwachsen’?“, fragte er. „Du bist jetzt dreißig“, sagte die Mutter und wischte ihm mit ihrem Tuch den Mund ab. „Dreißig, das ist erwachsen.“

Damit verbeugte sich der Schüler, der keiner mehr war, und ging in das Haus seines Meisters.

* ENDE *

Lesenswert: Jüdische Witze

„Reb Koppel ist gestorben. Gehst du zu seinem Begräbnis?“ „Warum sollte ich? Wird er zu meinem Begräbnis kommen?“

Das Buch von Salcia Landmann ist der Klassiker im Bereich jüdischer Witze. Das ganze Genre zeichnet sich ja durch virtuose Logik und Antilogik aus, also durch eine Art kommunikative Artisitik. Landmann, der die jüdische Witzkultur auch wissenschaftlich untersucht hat, ordnet die zahlreichen Miniaturen. Von den 273 eng bedruckten Seiten sind rund 40 einer kleinen Einführung in die Geschichte und Logik jüdischer Witze gewidmet. Für mich ist das Buch letztlich weniger ein Witzbuch. Es ist eine Schule für geistreiche Kommunikation und Beratung!

Salcia Landmann, Jüdische Witze
München (dtv) 1997

Der Geschichtenerzähler (IX)

Nun also die neunte und zweitletzte Folge…

„Sollten wir denn ein Boden sein für diese Saat?“, so fragten ihn die Leute. „Die Saat, wenn sie aufgegangen ist, gleicht der Pflanze, die sie hervorgebracht hat. Wie können wir deinem Meister je gleichen?“ protestierten sie. „Er hat uns viel zu früh verlassen. Wir müssten noch so vieles hören.“ „Hören allein ist wie Sonne ohne Regen“, sagte der Schüler. „Soll das denn heißen, wir sollten jetzt schon in die Nachfolge des Meisters treten?“ rief ihm nun einige zu. „Wir sind ja überhaupt noch nicht so weit. Wir sind noch gar nicht fertig! Wir haben ja erst angefangen.“ Der Schüler erwiderte:

„Fertig!“, rief das Ei, als es gelegt war. „Jetzt bin ich fertig!“ rief die Kaulquappe, als sie geschlüpft war. „Jetzt bin ich ganz fertig!“ rief das Geschöpf, als es zwei Beine hatte. „Jetzt endlich bin ich ganz und gar fertig!“ rief das Wesen, als es vier Beine und einen langen Schwanz hatte. „Wer weiß, was nun noch kommen mag…“, sagte der Frosch, als er fertig war.

„Bedenkt, wie euer Meister angefangen hat…“

Und morgen geht’s weiter.

Wenn du es schaffst I

Vor einiger Zeit habe ich hier eine Feier gehabt. Vita, eines der Kinder, hatte anhaltenden Schluckauf. Mein Neffe Nikolas hat zu ihr gesagt:

„Wenn du es schaffst, noch 10 Mal Schluckauf zu haben, bekommst du von mir ein Eis. Hier im Tiefkühlfach ist es.“ Und er hat mitgezählt: „1 – 2 – 3 – 4 – 5 – 6 – 7 – 8 – 9…“

Sie hat es nicht geschafft. (Und ausnahmsweise hat Nikolas ihr trotzdem Eis gegeben.)

Wie abonniere ich einen Blog?

Laut Webstatistik bezieht ein gutes Drittel der Besucher den Blog per Abonnement. Von den anderen wissen einige wahrscheinlich nicht, dass das geht.

Also, es geht so: Ganz unten auf jeder Blog-Seite befinden sich zwei kleine Links: „Beiträge (RSS)“ und „Kommentare (RSS)“. Will man nur die Beiträge abonnieren, klickt man auf „Beiträge“. Es öffnet sich ein Fenster, wo man anklicken kann, ob man den Blog zukünftig über die Lesezeichen oder über die Taskleiste oder anderswie erreichen möchte. Gezeigt wird auch eine Voranschau von dem, was man sich da auf den Computer liefern lässt: Nämlich ein Lesezeichen, durch das man zukünftig die Überschriften und ersten drei Zeilen jedes neuen Beitrags einsehen kann. Was einen interessiert, klickt man an, und dann ist man im Blog.

Dasselbe kann man nur mit den Kommentaren machen, oder jeweils mit den Beiträgen und den Kommentaren. Wer Lust hat, probiert’s einfach aus!

Der Geschichtenerzähler (VIII)

Es kommt noch was…

Da standen sie vor ihm, die Leute des Volkes. Zu Hunderten waren sie gekommen. Und er stand vor ihnen. Was sollte er sagen? „Der Meister, dessen Worte ihr vernehmen wollt, ist tot“, sprach er. „In dieser Nacht ist er gestorben. Doch hat er mir zuvor noch aufgetragen, ich solle heute zu euch sprechen.“ „Aber weißt du denn auch“, fragten die Leute ihn noch einmal, „was der Meister uns gerne sagen wollte?“ „Ich höre es“, sagte er, und begann zu erzählen:

Auf einer kleinen Insel mitten im weiten Ozean wuchs eine wunderschöne goldgelbe Blume. Niemand wusste, wie sie dort hingekommen war, denn es gab sonst keine Blumen auf dieser Insel. Die Möwen kamen angeflogen, um dieses Wunder zu bestaunen. „Sie ist schön wie die Sonne“, sagten sie. Die Fische kamen angeschwommen. Sie schauten aus dem Wasser, um sie zu bewundern. „Sie ist schön wie eine Koralle“, sagten sie. Ein Krebs kam an Land, um sie zu betrachten. „Sie ist schön wie eine Perle am Meeresgrund“, sagte er. Und sie kamen fast jeden Tag, um diese Blume zu bewundern.
Eines Tages, als sie wieder kamen, um nach der Blume zu schauen, fanden sie die goldenen Blätter der Blume braun und vertrocknet. „O weh“, sprachen die Möwen, die Fische und der Krebs. „Die Sonne hat unsere Blume versengt. Wer soll jetzt unser Herz erfrischen?“ Und alle waren traurig.
Doch einige Tage später war da an der Stelle der Blüte eine wunderbare zartweiße Kugel. „Was ist das?“, fragten die Tiere. „Es ist so weich wie eine Wolke“, sagten die Möwen. „Es ist so leicht wie die Gischt“, sagten die Fische. „Es ist so fein wie der Schimmer der Sonne im Sand“, sagte der Krebs. Und alle Tiere freuten sich.
Da fegte ein Windstoß über die Insel und wehte dieses weiße Wunder in tausend kleinen Flocken fort über die Insel. „O weh“, sprachen die Möwen, die Fische und der Krebs. „Der Wind hat unsere Kugel verweht. Was soll jetzt unser Gemüt erfreuen?“ Und alle waren traurig.
Eines Morgens, als die Sonne über dem Meer aufging, leuchteten da im goldenen Morgenlicht hunderte und nochmals hunderte von wunderschönen goldgelben Blumen. Da tanzten die Möwen am Himmel und die Fische im Wasser, und der Krebs tanzte mit seinen Freunden einen Reigen zwischen den Blumen, und alle freuten sich.

„Ihr müsst wissen“, sagte der Schüler zum Volk, „dass jeder Mensch, der auf der Erde wandelt, auf ihr seine Spuren hinterlässt. Keine Blume verblüht, ohne zuvor ihre Saat zu verstreuen.“

Und morgen geht’s weiter.