Der Sieg

Der Zielpunkt jedes Lebens ist – zumindest zeitlich – der Tod. Wenn bei uns ein Mensch an diesem Punkt ankommt, so sagen die anderen oft, er habe sein Leben verloren. Wenn bei den ersten Christen ein Mensch gestorben war, so sagten sie umgekehrt: Er hat sein Leben gewonnen! Er hat gesiegt! Und sie flochten diesem Menschen einen Siegerkranz, um mit ihm zu feiern! Einen Siegerkranz, so wie ihn die Sieger von Wettkämpfen damals erhielten! Die Sitte, einem Menschen einen Kranz mit ans Grab zu geben, ist geblieben. Vergessen ist die Botschaft dieses Kranzes. Sie heißt: Du bist ein Sieger!

Der Goldmacher

Jetzt erzähle ich mal wieder eine Geschichte. Ich verwende sie, um Menschen anzuregen, in scheinbar aussichtslosen Situationen nach einer Sichtweise zu suchen, die aus der Bedrohung eine Chance und aus der Not eine Tugend macht. Therapeutisch gesprochen hilft die Geschichte, belastende Lebenssituationen zu reframen (neu zu deuten) und Problemstrukturen aktiv zum Gestalten von Lösungen zu utilisieren.

In den alten Zeiten lebte bei uns ein Mann vom Stande derer, die sich Alchimisten nennen, der brüstete sich, er habe eine Weise gefunden, wie er Gold herstelle. Da das der König Weiterlesen

Wie baue ich eine Geschichte auf?

Ich habe jemanden getroffen, die meinte, sie könnte keine Geschichten erzählen. Jeder kann Geschichten erzählen! Wir tun es jeden Tag! Es gibt viele Arten, eine Geschichte aufzubauen. Ein Aufbau, der vielen bekannten Geschichten zugrunde liegt, ist zum Beispiel dieser:

1. Den realen oder fiktiven Protagonisten und seine Welt skizzieren

2. Das Problem des Protagonisten darstellen

3. Misslingende Lösungsversuche oder Irrfahrten benennen

4. Frust, Ratlosigkeit, Traurigkeit!

5. Ein äußerer oder innerer Ratgeber hat die Idee zur Lösung

6. Den Erfolg feiern – oder alles offen lassen zum weiter denken

Real erlebte Geschichten lassen sich auf diese Art ebenso aufbauen, wie erfundene. Prägt euch diese Abfolge doch einmal ein, und dann probiert es einmal aus! Viel Spaß dabei!

Reiterin und Pferd

Ich sah, wie eine Reiterin ein Pferd an sich gewöhnte. Die junge Frau war klein und zierlich. Das Pferd, ein schwarzer Wallach, schäumte vor Leidenschaft. Der Wallach sträubte sich und widerstrebte ihren Befehlen. Er hätte sie jederzeit abwerfen können, doch darum ging es nicht. Zwei Seelen rangen miteinander. „Wer führt?“ Die Frage erfüllte die Luft. Die Frau nahm sich viel Zeit für das Pferd. Sie wollte über das Tier herrschen, und es doch nicht unterwerfen. Sie wollte seine Achtung und sein Vertrauen. Am Ende gewann sie das Ringen, und ich glaube, beide waren glücklich.

Das Reihel

Bernhard liebte es, ein ganzes Wochenende lang allein durchs Gebirge zu wandern und in den Schlafsack eingerollt in einer Schutzhütte zu übernachten. Seine Freundin war häuslich und liebte romantische Abende bei Kerzenschein. Sie wollte ihn gerne heiraten. Ihm machte es Angst, sich endgültig festzulegen. Sie wollte möglichst bald Kinder bekommen. Ihn überforderte schon der Gedanke daran. Aber trennen wollten sich beide auf keinen Fall. „Wir sind in der Sackgasse“, stellte er in einem Telefongespräch resigniert fest. Ich wollte das weder so stehen lassen, noch konnte ich hoffen, dass mein bloßes Widersprechen ihm weiterhelfen würde. Was tun? Weiterlesen

Den Schrank aufräumen

Ich habe einen großen Wohnzimmerschrank. Beim Einzug in meine Wohnung hatte ich ihn mit Sorgfalt eingeräumt. Alles hatte seinen Platz. Doch im Laufe der Jahre sind in die Fächer, Regale und Schubladen viele Dinge hineingeraten, die dort nicht hingehören – oder zumindest jetzt nicht mehr. Mein Leben hat sich verändert, und andere Dinge sind wichtig geworden. Jetzt räume ich meinen Schrank auf. Als erstes habe ich alles aus dem Schrank geholt und auf dem Boden verstreut. Ein wüstes Durcheinander ist da entstanden – ich glaube aber, ein Durcheinander mit Sinn. Trotzdem, für das Ordnen brauche ich Zeit. Manche Sachen sind mit Erinnerungen verbunden. Ich muss sie mir noch einmal ansehen. Andere fordern von mir eine Entscheidung. Da sind Dinge, die werden weggeworfen. Da sind andere, die werden aufgehoben, aber nicht im Schrank, sondern woanders, zum Beispiel auf dem Speicher. Wieder andere kommen zurück in den Schrank, aber an eine andere Stelle. Der ganze Schrank soll eine neue Ordnung bekommen. Zuvor aber werde ich den Schrank auswischen, den Staub entfernen und vielleicht auch polieren. Meine Tochter war eben da. Sie sah auf das riesengroße Durcheinander und sagte zu mir: „Ich dachte, du wolltest aufräumen?“

Die Fürsorglichen

Herr und Frau Laplace kommen seit mehreren Sitzungen in die Paarberatung. Frau Laplace ist trockene Alkoholikerin. Anlass für die Beratung sind „Rückfälle“ in der letzten Zeit sowie eheliche Konflikte. Sie berichten, Frau Laplace habe einen schweren grippalen Infekt bekommen. Ihr Mann habe sie gedrängt, ein Krankenhaus zu besuchen und sich Medikamente verschreiben zu lassen. Dies lehnte sie wie alle anderen Hilfsangebote ab und zeigte sich über das Bemühen ihres Mannes verärgert. Dieser fühlte sich abgewiesen und war gekränkt.

Meine Frage, ob sie hinter dem Verhalten ihres Mannes eine positive Absicht sehe, bejaht die Frau. Sie habe aber diese Hilfe nicht gebrauchen können. Sie stimmt zu, dass sie nicht seine Zuwendung als solche, sondern nur die konkret angebotene Hilfe habe ablehnen wollen. Ich äußere die Vermutung, Weiterlesen

Prüfungsvorbereitung

„Hast du heute Nachmittag Zeit?“ frage ich eine Bekannte. „Wir könnten mal wieder etwas unternehmen.“ „Nein, das geht nicht“, sagt sie. „Ich habe doch nächste Woche Prüfung, und ich kann mich sowieso so schlecht konzentrieren. Ich habe das Gefühl, ich komme überhaupt nicht voran. Wenn ich jetzt noch eine Pause mache, kriege ich bloß ein schlechtes Gewissen, und dann geht gar nichts mehr.“ „Wie lange arbeitest du schon so, ohne Konzentration und ohne Pause?“ „Seit ein paar Wochen.“ Ich denke kurz nach. Weiterlesen

Der König kommt

„Der König kommt! Der König kommt! Der König kommt!“ Bis ihre Mutter von der Arbeit nach Hause kam, musste sie jeden Tag die Wohnung aufgeräumt, die Küche in Ordnung gebracht und etwas zu essen auf den Tisch gestellt sein. Sie nutzte diese Zeit und spielte „Der König kommt!“. Müde gespielt und gut gelaunt empfing sie ihre Mutter in einer blitzblank aufgeräumten, geputzten und gekehrten Wohnung.

Die Macht der Gedanken

„Die Jungs an der Bushaltestelle haben wirklich genervt. Immer haben sie mich an meiner Zipfelmütze gezogen. ‚Hört auf’, habe ich gerufen. „Sonst geht irgendwann der Bommel ab.“ Wieder und wieder sagte ich: „Hört auf!“ Nichts half! In Gedanken habe ich dann den Entschluss gefasst: „Dem nächsten, der daran zieht, trete ich ganz fest ans Schienbein!“ Doch keiner zog mehr daran.