Am Grund des Flusses

Ab und zu wird jemand mit ins Unglück gezogen und kann dennoch Helfer sein, wenn er kühlen Kopf behält und die Lösung diktiert. Das Motto ist wohl: Hektik vermeiden, autoritär auftreten, nicht lange warten. Und Selbstschutz hat Vorrang: Wenn der andere im Unglück bleibt, rette ich mich trotzdem.

Diese Geschichte hat sich vor Jahren in Heidelberg abgespielt.

Auf einem Parkplatz am Fluss übte ein Fahrlehrer mit seinem Schüler das Einparken. Der Fahrschüler stieß zurück, gab kräftig Gas – und Augenblicke später fanden sich beide auf dem Grund des Flusses wieder. „Ruhig bleiben!“ sagte der Lehrer. „Lass die Tür zu! Schnall dich ab! Drehe das Fenster nur ein ganz kleines bisschen herunter, so dass bloß wenig Wasser auf einmal hereinkommt!“ Langsam füllte sich die Fahrerkabine mit Wasser, während die beiden Menschen am Grund des Flusses warteten. Als ihnen das Wasser bis zum Hals stand, sagte der Lehrer: „Jetzt öffnen wir die Tür und schwimmen nach oben!“ Die Rettung gelang – Lehrer und Schüler überlebten.

2 Gedanken zu „Am Grund des Flusses

  1. Einst lebte ein Mensch, der liebte das Lesen.

    Er las von Bäumen im Wald und er sah sie vor sich, wie sie sich im Wind wiegten, sah ihre Knospen, die Blüten, das Laub des Sommers, die Früchte, die bunten Blätter im Herbst und ihre kahlen schneebedeckten Kronen. Doch hob er den Blick und schaute über den Rand des Buches auf einen Baum, dann erschauderte er, denn er sah Blitze in ihn hineinfahren und Stürme, die ihn entwurzelten.
    Las der Mensch ein Buch über ein Tier, dann sah er es vor sich, wie es herumtollte, nach Insekten schnappte, wie es gestreichelt wurde und sich des Lebens freute. Fiel sein Blick aber auf einen Hund, der fröhlich durch den Park sprang, dann krampfte sich das Herz des Menschen zusammen, denn er sah Knüppel, die den Hund trafen, Tritte, welche das Tier aufheulen ließen und er sah fette, weiße Maden, die sich durch dessen toten Leib fraßen.
    Er las von lachenden Kindern und fröhlichen Menschen und fühlte sich ihnen verbunden, doch in den Gesichtern seiner Mitmenschen konnte er nur Leid, Trauer, Krieg, Hass und Tod erkennen.
    Mit der Zeit schaute er immer seltener von seinen Büchern auf, denn er wollte das Leid der wirklichen Welt nicht mehr sehen.

    Nun schien es als habe er das Glück für sich gefunden. Denn in seinen Büchern gab es nur Freude, Leichtigkeit und Glück.
    Aber mit der Zeit veränderte sich etwas in ihm. Sah er früher in seinen Träumen die wundervollen Gestalten und Dinge aus seinen Büchern. Schlichen sich nun klammheimlich Grauen und Angst in seine Traumgebilde. Leid und Tod durchzogen seinen Schlaf. Sein Herz krampfte sich zusammen und oft schreckte er schweißgebadet auf. Da beschloss er, nicht mehr zu schlafen und so las er denn -Tag und Nacht und er war glücklich.

    Jedoch von Tag zu Tag wuchs -wie ein Krebsgeschwür- ein zunächst leichtes Unbehagen in ihm. All die Ängste die er vorher beim Betrachten der Wirklichkeit und später in seinen Träumen erlebte, drangen nun in seine Bücher ein, übervölkerten sie und legten sich schwer auf sein Gemüt. Immer öfter warf er ein Buch voller Grauen von sich und griff nach einem neuen, um dieses schon nach wenigen Seiten ebenfalls von sich zu schleudern. Schwerer und schwerer wurde die Last für ihn zu tragen. Er fühlte sich, wie unter einer Steinlawine begraben und die Steine begannen ihn zu erdrücken. Sie pressten das Leben aus ihm heraus, bis das letzte Buch ihm aus den ausgezerrten Händen fiel, während er ins Nichts stürzte.

    Oder aber er begriff, die Unsinnigkeit und Unmöglichkeit den eigenen Ängsten zu entfliehen und mit einem Mal schob er die Bücher von sich und nahm stattdessen einen der Steine, die ihn zu erdrücken schienen, in seine Hände. Er betrachtete ihn -ganz genau von allen Seiten, dabei verlor der Stein mehr und mehr an Bedeutung, bis er ihn schließlich zur Seite legen und sich dem nächsten Stein zuwenden konnte. Lange saß er so, betrachtete die Steine und legte sie neben sich, bis schließlich alle Last von ihm verschwunden war und er wieder frei atmen konnte. Da stand er auf und trat in das Leben hinaus.

  2. Eine schöne Geschichte. Ich glaube, Bücher werden eine verletzte Seele selten heilen, können aber betäuben – was manchmal schon sehr wertvoll ist.
    Eine Intervention wie die mit den Steinen ist ebenso fiktiv wie die Geschichten in einem Buch. Sie ist aber flexibel und individuell und kann daher leichter heilende Kraft entfalten.

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