Der doppelte Geburtstag

Eine Frau berichtete kürzlich in der Beratung über verschiedene Todesfälle, die sie im Verlauf ihres Lebens zu bewältigen hatte: Ihre Urgroßeltern, weitere Verwandte, mehrere Freunde und Bekannte und ihr Großvater, an dem sie sehr gehangen hatte. „Und dann ist mein Großvater auch noch an meinem Geburtstag gestorben! Jedes Jahr an meinem Geburtstag bin ich traurig.“

„Ich war einmal auf einem Friedhof in Warschau“, sagte ich. „Dort habe ich eine Gruppe von Roma gesehen, die um ein Grab versammelt waren und dort den Geburtstag des Verstorbenen gefeiert haben. Über die Grabplatte hatten sie ein Tischtuch gelegt. Darauf standen Teller, Gläser, Besteck und Kerzenleuchter. Sie hatten alle möglichen Delikatessen dabei, und natürlich auch etwas zu trinken. Ich nehme an, dass sie auch ein Gedeck für den Verstorbenen gerichtet haben. Und ich stelle mir vor, dass auch er ein Glas Wodka bekam und sie mit ihm angestoßen haben. Es war eine Gruppe fröhlicher Leute, die dort auf dem Grab getafelt haben. Wenn die ersten Christen ihre Toten beerdigt haben, haben sie ihnen einen Siegerkranz auf das Grab gelegt und haben mit ihm gefeiert. Für sie war es eine Siegesfeier, aber auch so etwas wie ein Geburtstag – der Geburtstag eines neuen Lebens, des ewigen Lebens. Wenn Ihr Opa an Ihrem Geburtsag gestorben ist, dann deutet nicht sein Todestag Ihren Geburtstag, sondern Ihr Geburtstag erklärt seinen Todestag. Ihr Geburtstag ist sein Todestag, das heißt, der Tag seiner Geburt in ein neues Leben. Ic h möchte Sie daher bitten, dass Sie an Ihrem Geburtstag auch seinen Geburtstag feiern!“

„So habe ich das noch nie gesehen“, sagte die Frau.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert