Amstetten

Was ich als Therapeut und Pfarrer zu dem Fall von Amstetten meine, hat mich jemand in einer Mail gefragt. Meine Antwort ist gewesen:

Ich befasse mich so wenig wie möglich mit dem Fall. Ich weiß nur das darüber, was sich nicht vermeiden ließ. Ich kann nicht erkennen, was ich dazu Nützliches beitragen könnte. Und ich habe keine Lust, mich da hinein zu steigern. Ich sehe in meinem Alltag als Klinikseelsorger alle Arten von Leuten krank werden und sterben, Gute und weniger Gute, Neugeborene, Jugendliche und Alte. Ich höre von Kriegsverbrechen und Nachkriegsverbrechen, von Massenerschießungen und Einzelmorden und Foltern und Vergewaltigungen, von Bomben und Hinrichtungen. ich höre von sexuellem Missbrauch, von Mordversuchen und Totschlägen, und von psychischer Misshandlung. Ich weiß wirklich nicht, warum ich mich mit solchen Dingen noch in meiner Freizeit befassen sollte, oder warum ich mich noch darüber wundern sollte.
Als die KZs befreit wurden, haben Gefangene ihre Aufseher totgetrampelt oder erschossen. Sie haben sich so schlecht verhalten wie vorher ihre Wärter. Opfer werden zu Tätern, immerhin kann man es bei jenen noch nachvollziehen. Wenn man nun diesen Mann frei ließe, würden sich viele, viele Menschen finden, die ihn foltern und ermorden würden. Ich habe einige Leute davon träumen hören, einem solchen Menschen das Geschlecht abzuschneiden und ihn qualvoll zu töten. Sie würden sich zufrieden einbilden, sie wären besser als er. Wir alle bilden es uns ein und haben vielleicht nur die bessere Kindheit gehabt. Die Menschen meinen, sie wären für die Opfer eingenommen, in Wirklichkeit sind sie alle nur für ihre eigene Selbstgerechtigkeit. Die Öffentlichkeit braucht die Opfer für ihre eingebildete Güte. Ich halte nichts von dem Rummel um diesen Mann. Jeder sollte zusehen, dass er selbst an seiner Integrität und Liebe zu den Menschen feilt. Es geht bei diesem Rummel nicht um die Opfer, sondern um das Gefühl, selbst über einem solchen Menschen zu stehen. „Jetzt packt das Inzest-Monster aus“ hat die BLÖD-Zeitung getitelt. Dieser Fall macht sehr leicht UNS zu Monstern.

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