Das Gift wegbringen

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Mein Vater war immer stolz auf sein schönes Obst. Im Frühjahr war er mit der Spritzpumpe im Garten unterwegs und sprühte Insektizide, Herbizide, Fungizide und Pestizide auf die Bäume und Blumen. Der Säuregehalt des Bodens wurde mit Lackmus getestet, und die empfohlene Menge Düngemittel in den richtigen Proportionen abgemischt. Schneckenkorn, Ratten- und Wühlmausgift rundeten das Programm ab. Wir waren mehr als skeptisch, ob das so gut war, aber er war überzeugt, dass es so sein müsse, und wir konnten ihn nicht davon abbringen. Viele Jahre später war es an uns, die Garage auszuräumen und all die Gifte, Sack für Sack, Kanister für Kanister, Packung für Packung, fachgerecht zu entsorgen. Manche Packungen waren undicht, andere nicht mehr zu entziffern, und eine gefüllte Spritzpumpe ließ sich gar nicht mehr öffnen. Für uns war es keine angenehme Aufgabe. Zuletzt aber, als wir die Chemikalien beim Wertstoffhof abgegeben hatten und die sauber aufgeräumte Garage betrachteten, war es uns, als ob nicht nur wir, sondern auch die Pflanzen und Tiere des Gartens tief durchatmeten.

Wenn wir uns mit früheren Verletzungen der Klienten befassen, ist es mir wichtig, das so zu tun, dass diese nicht noch einmal den Schmerz von damals zu durchleben brauchen. Es geht darum, etwas loszuwerden, nicht darum, es noch einmal zu erleben. Mit der Geschichte von der Entsorgung der Gartengifte kann gleichzeitig Verständnis für das Unbehagen der Klienten geäußert werden, sich mit ihren Belastungen zu befassen und die Notwendigkeit verdeutlicht werden, etwas zu tun, damit diese keinen Schaden mehr anrichten.

Diese Geschichte stammt von Stefan Hammel und ist in dem Buch „Wie der Tiger lieben lernte. 120 Geschichten bei psychischem Trauma“ zu finden. Die Geschichte gehört zum Kapitel „Geduld und Zuversicht im Überwinden.“

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