Im Moment ist es gut

Ich denke, Sie haben Recht, wenn Sie sagen: „Im Moment ist es gut“. Sagen Sie der vorsichtigen Instanz in Ihnen einen Gruß, es ist in Ordnung, dass sie genau hinschaut. Man weiß ja nie ganz sicher, wie lange die Therapiewirkung anhält. Ich finde sie sollte das beobachten. Zu sehen ist, dass es Ihnen jetzt viel besser geht als vorhin. Sie wirken viel entspannter, geradezu gelassen, auch, während Sie sich eine dieser bisher beängstigenden Situationen vorstellen. Ich glaube, morgen Nachmittag werden Sie an unsere Therapiestunde denken und bemerken, dass diese Gelassenheit schon über einen Tag angehalten hat, und wenn es schon seit mindestens einem ganzen Tag so ist, dann wird es auch noch mindestens einen Tag bleiben. Ich denke, übermorgen werden Sie bemerken, dass Sie schon seit zwei ganzen Tagen gelassen sind, und weil das so ist, werden Sie mit Recht erwarten, dass die Wirkung noch zwei weitere Tage anhalten wird. Nach vier Tagen wird Ihnen auffallen, dass die Wirkung schon vier Tage anhält, und Sie werden mit gutem Grund erwarten, dass es immerhin noch solange gut bleibt, wie es schon gut war. Nach einer Woche werden Sie erwarten, dass die gute Wirkung eine weitere Woche anhält, nach zwei Wochen, dass sie für einen ganzen Monat halten kann. Nach einem guten Jahr haben Sie Grund, ein weiteres gutes Jahr zu erwarten. Nach zehn guten Jahren ist es passend, sich auf ein weiteres gutes Jahrzehnt zu freuen. Ich denke, es ist in Ordnung, wenn Sie sich mit der Vorfreude ein bisschen Zeit lassen. Was denken Sie?

Auffällig häufig geht etwa drei Tage nach einer Sitzung ohne erkennbaren Anlass ein Teil der Therapiewirkung verloren, während der Rest dauerhaft erhalten bleibt. Der Grund ist wohl, dass nach einigen Tagen die Erinnerung an die Therapiestunde verblasst, so dass die Erwartungen statt aus frischen positiven Erinnerungen nun wieder stärker aus den Erinnerungen des Langzeitgedächtnisses konstruiert werden. Die Intervention zielt darauf ab, diesen Effekt zu neutralisieren. Die meisten Geschichten stellen reale oder fiktive Erinnerungen dar. Wir können aber auch Erwartungsgeschichten erzählen, die von unseren Befürchtungen und Hoffnungen erzählen. Diese Geschichte dient dazu, die Therapieergebnisse gegen skeptische Einwände innerer oder äußerer Stimmen (Gegensuggestionen) zu stabilisieren. Insbesondere bei vollkommenheitsliebenden (perfektionistisch oder zwanghaft anmutenden) und sich depressiv verhaltenden Menschen ist das von großem Nutzen .[1]


[1] Vgl. Hammel 2017a, 46f. Weitere Grüße zur Stabilisierung des Erreichten, zur Dekonstruktion von Skepsis und zur Erhöhung der Therapieeffizienz ibid., 54ff., 74ff.

Geschichte aus: S. Hammel, A. Vlamynck, C. Weinspach: Ängest entzaubern, Lebensfreude finden

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