Good Vibrations

Ich möchte eine weitere Geschichte davon erzählen, wie man scheinbar Nutzloses oder Schädliches in der Therapie „utilisieren“, also für die Ziele der Klienten nutzbar machen kann.

Eine Frau wollte gerne hypnotisiert werden, weil sie sich nur schwer konzentrieren könne, Gedächtnisprobleme habe und sich meistens verwirrt fühle. Es zeigte sich, dass es genügend familiäre Probleme gab, um diese Schwierigkeiten zu erklären. Die Frau wünschte sich jedoch eine Therapie, die die ihre Familiensituation unberücksichtigt lassen sollte. Ich erklärte ihr, ich hielte zwar grundsätzlich ein anderes Vorgehen für angezeigt, ihrem ausdrücklichen Wunsch entsprechend werde ich aber mit ihr daran arbeiten, ihre mentalen Prozesse so weit als möglich zu optimieren, ohne ihre Familienbeziehungen und die sich daraus ergebenden Probleme zu bearbeiten.
Nach einigen Sätzen der Hypnoseinduktion begann, für mich unvorhergesehen, im Keller ein Handwerker mit einer Schlagbohrmaschine eine Wand zu durchbohren. Minutenlang vibrierte das Haus, und der Lärm war so gewaltig, dass ich sehr laut reden musste, um für die Klientin hörbar zu bleiben. Ich sagte:
„Manchmal geschieht es, dass etwas Unvorgesehenes unser Leben erschüttert, und wir merken erst einen Augenblick später, dass es etwas Gutes ist, was mit uns geschieht. Es ist, als ob in uns etwas zurecht gerüttelt wird, so dass in unserem Körper und Geist etwas vibriert und unsere geistigen Fähigkeiten aktiviert. In uns kommt etwas zum Schwingen und eine gute Resonanz bringt in uns alle Gedanken an den richtigen Platz, alle Erinnerungen und all unser Wissen werden dadurch aufgeräumt, werden neu geordnet und dadurch neu auffindbar.“
Einige Tage später sagte eine andere Frau, die mit dieser Klientin befreundet war, zu mir: „Meine Freundin hat gesagt, Sie hatten einen Handwerker im Haus, der mit einer Maschine gearbeitet hat, und das sei so wohltuend gewesen.“

(Stefan Hammel, Handbuch der therapeutischen Utilisation. Vom Nutzen des Unnützen in Psychotherapie, Kinder- und Familientherapie, Heilkunde und Beratung. Klett-Cotta 2011, S. 119f.)

 

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